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760 Minuten Angst

760 Minuten Angst

Titel: 760 Minuten Angst
Autoren: Michael Schmid
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Nachhauseweg von einem angetrunkenen Autofahrer angefahren worden. Sie erlitt dabei schwere, innere Blutungen. Es sollten acht Minuten vergehen, bis ein Anruf bei der Notrufzentrale einging und nochmals sechs Minuten, bis der Rettungswagen eintraf. Meine Verlobte kam in die Notaufnahme, doch die Ärzte konnten nichts mehr für sie tun und so blieb mir nichts anderes übrig, als an ihrem Bett zu wachen und auf ihren Tod zu warten.
    Nun fragst du dich bestimmt, was hat diese traurige Geschichte mit mir zu tun, nicht wahr?
    Nun, sie ist noch nicht zu Ende.
    Wenige Tage darauf erfuhr ich von einem Arzt, dass meine Frau höchstwahrscheinlich überlebt hätte, wäre der Krankenwagen nur fünf Minuten früher am Unfallort eingetroffen. Es gab auch fünf Augenzeugen, die den Unfall meiner Frau beobachtet haben, doch niemand kam ihr zu Hilfe. Sie standen einfach nur da, telefonierten, fotografierten, gafften. Niemand kam auf die Idee, den Notruf zu wählen, bis ein Mädchen sieben Minuten später den Unfallort erreichte und nur eine Minute später die Tragödie meldete.
    Ich weiß nicht, ob du dich noch an diesen Tag erinnerst, Emilie, aber ich werde ihn nie vergessen. Du warst die Einzige, die meiner Verlobten geholfen hat. Du allein gabst mir die Chance, mich von ihr verabschieden zu können. Ohne dich wäre es nicht möglich gewesen.
    Deshalb, liebe kleine Emilie, vermache ich dir all meinen Besitz. Lebe dein Leben, so wie du es dir wünschst. Ich weiß um deinen Vater und Gott möge mir vergeben, dass ich dich über ein Jahr hab weitere Qualen erleiden lassen.
    Doch ich hoffe, dass dir dieses Geschenk die Freiheit gibt, die du dir mehr als verdient hast. Höre nie auf, deine Träume zu leben und genieße dein Leben, bis zur letzten Sekunde.
    Denn wenn ich eines in meinem kurzen Leben gelernt habe, dann, dass es nichts Kostbareres auf der Welt gibt als das Leben selbst.

    In ewiger Liebe,
    Constantin

    Emilie sah auf.
    Doch sie sah weder Simon, den Esstisch, noch die Eltern ihrer besten Freundin, die so nett waren, sie in ihrer dunkelsten Stunde aufzunehmen.
    Sie tauchte ein in eine Welt, die aus einer längst vergessenen Erinnerung entstand. Sie lief wie ein Film vor ihrem geistigen Auge ab … und Emilie ließ es geschehen.

    Sie war richtig glücklich.
    Nicht nur, dass das Wetter perfekt war, blauer Himmel, strahlender Sonnenschein und warm, nein, sie hatte sich auch endlich mal wieder einen Shoppingtag in der Regensburger Altstadt gegönnt und ihr wenig Erspartes ausgegeben. Auch wenn Emilie nun pleite war, war sie glücklich, weil sie sich einmal verwöhnt hatte.
    Nur die Tatsache, dass sie sich jetzt auf dem Nachhauseweg befand, drückte auf ihre Stimmung, da es hieß, wieder auf ihren Papa zu treffen. Hoffentlich hatte er heute einen guten Tag.
    Gerade bog Emilie in die Maximilianstraße ein, um geradewegs Richtung Hauptbahnhof zu spazieren, als ihr plötzlich fünf Menschen auffielen, die in der Seitenstraße zu ihrer Linken im Halbkreis um etwas standen, das sie von hier aus nicht erkennen konnte.
    Von Neugier getrieben, ging Emilie auf sie zu und umrundete das Geschehen. Dann stockte ihr der Atem. Sie legte die Hände über ihren Mund und rang nach Luft. Sie konnte nicht fassen, wovon sie gerade Zeuge wurde.
    Wie in einem Alptraum betrachtete Emilie die junge Frau, die bewusstlos auf dem Boden lag. Neben ihr ein stark verbogenes Fahrrad und ein Auto, dessen Fahrer sich scheinbar in einer Schockstarre befand.
    Erst jetzt widmete sie sich kurz den Schaulustigen.
    Da war eine wirklich bildhübsche Frau mit kastanienbraunen Haaren, die telefonierte, aber definitiv nicht mit einer Notrufmitarbeiterin. Es sei denn, sie war zufälligerweise ihre Omi!
    Dann ein leicht übergewichtiger Mann, der mit seiner Digitalkamera wie wild Fotos vom Unfallort schoss.
    Daneben stand ein junger Mann, der zitternd das Geschehen betrachtete und ein absoluter Grießgram, der mit verschränkten Armen lauthals darüber schimpfte, wegen diesem beschissenen Unfall einen Umweg machen zu müssen.
    Und zu guter Letzt eine junge Frau, die jammerte, weil sie durch den Unfall zu viel Zeit verlor und dadurch ihre Verabredung mit ihrer besten Freundin verpasste.
    Obwohl Emilie diese ganzen Details nur unbewusst aufnahm, konnte ihr Unterbewusstsein nicht begreifen, wie gleichgültig den Menschen die verletzte Frau war. Niemand kam auf die Idee, ihr zu helfen oder den Notruf zu wählen.
    Stimmt! Der Notruf!
    Auch Emilie hatte bis jetzt nichts
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