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760 Minuten Angst

760 Minuten Angst

Titel: 760 Minuten Angst
Autoren: Michael Schmid
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genommen wollte er es auch gar nicht.
    »Wann gibt’s Essen?«, fragte Ben ein weiteres Mal in den Raum, ohne eine Antwort zu erhalten.
    Merkwürdig.
    Sonst war seine Mutter um diese Zeit immer Zuhause und kümmerte sich um das Abendessen. Höchst ungewöhnlich.
    Sein Blick wanderte kurz ins Wohnzimmer, doch seine Mutter saß nicht wie gewöhnlich auf ihrem Sofaplatz. Ben kam es zwar eigenartig vor, aber er schenkte dieser Tatsache keine weitere Bedeutung. Seine Prioritäten lagen woanders.
    Wird wohl in ihrem Zimmer eingeschlafen sein. Was soll’s. Essen kann ich auch später noch. Jetzt erst mal heimkommen!
    Ben öffnete seine Zimmertür und trat ein. Er nannte den kleinsten Raum der Wohnung sein Eigen, was ihm auch nichts ausmachte. Er brauchte nicht mehr und seine Mutter hatte das größere Zimmer mehr als verdient. Schließlich war sie seine Mama.
    Außerdem besaß Ben nicht viel. Gerademal einen alten, klapprigen Kleiderschrank, der noch aus den Achtzigern stammte, einen mitgenommenen Schreibtisch aus Kindertagen sowie ein kleines, aber gemütliches Einmannbett. Mehr brauchte er nicht. Seine restlichen, wenngleich wenigen Sachen waren in der übrigen Wohnung verteilt und somit immer für ihn griffbereit.
    Aus dem Kleiderschrank schnappte sich Ben eine abgenutzte, dafür bequeme blaue Jeanshose und ein weites nichtssagendes rotes T-Shirt. Dazu frische, weiße Tennissocken mit passendem Slip. Dann packte er das Bündel und begab sich einen Raum weiter ins Badezimmer.
    Die Kleidungsstücke landeten auf einem weißen Schränkchen gegenüber der Badewanne. Ben ließ warmes Wasser einlaufen und gab ein wenig Schaumbad hinzu. Daraufhin entledigte er sich seiner schmutzigen grauen Latzhose und dem durchgeschwitzten blauen Sweatshirt.
    Nur noch mit einem grauen Slip und roten Socken bekleidet, stand er vor dem Badezimmerspiegel und betrachtete seinen stetig wachsenden Bauch. Ein Doppelkinn zeichnete sich ebenfalls ab. Ben war enttäuscht. Er hatte nicht immer so ausgesehen.
    Vor vier Jahren hatte alles angefangen. Ben war jetzt Neunundzwanzig und die Dreißig machte ihm längst keine Angst mehr, da er diesen Schritt zumindest körperlich bereits hinter sich gebracht hatte. Sein kurzes, dunkelbraunes Haar war ungepflegt, graue Strähnen machten sich bemerkbar und seine grünen Augen wirkten leer und kraftlos. Der Tod seines Vaters hatte vieles verändert. Vor allem ihn und seinen Körper.
    Sein Spiegelbild nicht mehr ertragend, wandte sich Ben ab, um sich vollständig zu entkleiden, als sich sein Magen grummelnd zu Wort meldete. Er hielt sich kurz den Bauch und wog seine Möglichkeiten ab, ehe er sich für einen kurzen Abstecher in die Küche entschied.
    Die Wanne ist sowieso noch nicht voll.
    So verließ Ben kurzerhand das Badezimmer, schloss die Tür hinter sich und trat in die behagliche Essküche. Er hatte eigentlich dort mit seiner Mutter gerechnet, doch auch hier keine Spur von ihr. Langsam machte sich Ben doch ein wenig Sorgen. Das passte überhaupt nicht zu ihr.
    Nichtsdestotrotz brauchte er erst mal eine Kleinigkeit zwischen die Zähne. Ben öffnete den Kühlschrank, nahm Butter und Wurst heraus und legte sie auf die Arbeitsplatte, ehe er das frische Brot aus dem Korb holte und sich zwei Scheiben davon abschnitt.
    Erst beim Einräumen des Kühlschranks bemerkte er den unpassenden beigefarbenen Briefumschlag, der mit einem von Mamas bunten Magneten an der abgewetzten Front befestigt war. Handschriftlich stand darauf sein Name geschrieben.
    BENJAMIN.
    Das ist doch gar nicht Mamas Handschrift. Außerdem schreibt sie doch immer Mausebäckchen.
    Ben konnte sich keinen Reim darauf machen. Zuerst zögerte er, dann aber gewann die Neugier Oberhand. Er legte das Messer beiseite, vergaß das Rumoren seines Magens und griff nach dem Umschlag.
    Mit einem mulmigen Gefühl, Ben wusste selbst nicht warum, öffnete er ihn. Die Wanduhr der Küche zeigte 17:52 Uhr. Später wünschte er sich hundert Mal, es nicht getan zu haben. Vielleicht hätte er so dem Schmerz entkommen können.
    »Und hier wären wir dann im Schlafzimmer«, erzählte Jake und ließ das junge Paar durch eine Handgeste seinerseits eintreten. Dann folgte er ihnen. »Groß, nicht wahr?«
    Seit nunmehr neun Jahren arbeitete Jake als Immobilienmakler und auch wenn er sich den Beruf manchmal etwas leichter, angenehmer und schöner wünschte, war er mit seiner Wahl trotz allem zufrieden. Außerdem schien gerade ein neuer Abschluss zu winken, was seine Stimmung
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