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64 - Der verlorene Sohn 05 - Jäger und Gejagte

64 - Der verlorene Sohn 05 - Jäger und Gejagte

Titel: 64 - Der verlorene Sohn 05 - Jäger und Gejagte
Autoren: Karl May
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möchte heim, bin müd von deinem Leide,
Du arge, falsche Welt;
Ich möchte heim, bin satt von deiner Freude;
Glück zu, wem sie gefallt!
Weil Gott es will, will ich mein Kreuz noch tragen,
Will ritterlich durch diese Welt mich schlagen,
Doch tief im Busen seufz' ich insgeheim:
Ich möchte heim!“
    „Heim, heim, heim!“ erklang es in leisem frommem Echo von den Lippen der Sterbenden. „Weiter, weiter, mein guter Schwiegersohn!“ Er trocknete sich die Tränen und las weiter:
    „Ich möchte heim; ich sah in sel'gen Träumen
Ein bess'res Vaterland;
Dort ist mein Teil in ewig lichten Räumen;
Hier hab ich keinen Stand.
Der Lenz ist hin; die Schwalbe schwingt die Flügel,
Der Heimat zu, weil über Tal und Hügel;
Sie hält kein Jägergarn; kein Vogelleim –
Ich möchte heim!
    Ich möchte heim; trug man als kleines Kindlein
Mich einst zu Spiel und Schmaus:
Es freute mich ein leichtes, kurzes Stündlein;
Dann war der Jubel aus.
Wenn sternhell noch der Brüder Auge blitzte,
In Lust und Spiel ihr Herz sich erst erhitzte,
Trotz Purpuräpfeln, goldnem Honigseim:
Ich wollte heim!
    Ich möchte heim; das Schifflein sucht den Hafen;
Das Bächlein läuft ins Meer.
Das Kindlein legt im Mutterarm sich schlafen,
Und ich will auch nicht mehr.
Manch Lied hab ich in Lust und Leid gesungen,
Wie ein Geschwätz ist Lust und Leid verklungen.
Im Herzen blieb mir noch der letzte Reim:
Ich möchte heim!“
    Er war zu Ende. Ein langer, langer, tiefer Atemzug ging durch die Kammer. Von wem? Sie warteten, daß die Mutter noch etwas sagen werde – vergebens! Sie hatte die Augen geschlossen und bewegte sich nicht.
    Da legte der Vater das Blatt zur Seite, beugte sich über die gute Schwiegermutter nieder, betrachtete sie einige Augenblicke lang und sagte dann leise: „Sie ist auch heim.“
    Und die Kleinste von den Kindern hielt ihr kleines Mündchen an das Ohr des Schwesterchens und flüsterte:
    „Sie ist auch heim!“
    Weiter wurde kein Wort gesprochen. Die Tochter drückte der Mutter die Augen zu, legte dann ein kleines Weilchen ihren Kopf an die Brust des Mannes und sagte dann, tief und schmerzlich aufatmend: „Wir wollen weiterarbeiten!“
    Der Vater erhob gegen die Kinder warnend den Zeigefinger und meinte:
    „Die Großmutter ist nun ganz, ganz eingeschlafen. Ihr dürft sie nicht stören. Legt euch hin und schlaft recht schön und ruhig!“
    Die Kinder gehorchten, und die Eltern traten in die Stube zurück, wo sie sich zur Arbeit niedersetzten. Der Griffel und die Stricknadeln bewegten sich fleißig bis nach Mitternacht, ohne daß die Fleißigen ein Wort gesprochen hätten. Dann aber brach die Frau doch endlich das tiefe Schweigen:
    „Ist dir es nicht zu kalt?“
    „Nein. Dir?“
    „Auch nicht.“
    Und dennoch froren sie beide. Die Frau warf einen wehmütigen Blick nach dem Ofen. Dort lagen vier oder fünf Holzscheitchen neben ebensoviel Handvoll Kohlen. Das war Heizmaterial für den morgigen Tag.
    „Was tun wir nun?“ meinte sie.
    „Melden“, antwortete er, ohne von der Arbeit aufzusehen. Er mußte die Versäumnis nachholen.
    „Ja. Ich meine aber nicht das.“
    „Was denn?“
    „Sarg, Begräbniskosten!“
    Er neigte den Kopf noch tiefer auf die Platte herab, antwortete aber nicht.
    „Und was ziehen wir ihr an!“ flüsterte sie weiter, mehr für sich als für ihn.
    „Das schwarze Kleid.“
    „Das ist zu gut!“
    „Sie hat ja weiter nichts!“
    „Da begnügt sie sich mit einem alten Rock und meiner braunen Alltagsjacke.“
    „Nein.“
    Sie warf einen erstaunt fragenden Blick zu ihm hinüber.
    „Was denn?“
    „Ihr schwarzes Kleid.“
    „Aber es ist schade darum! Ich kann den Kindern zwei Röckchen und ein Jäckchen daraus machen!“
    „Es ist ihr Hochzeitskleid gewesen. Sie soll es behalten. Sie hat uns liebgehabt. Ich schämte mich, wenn ich sie so ganz ärmlich fortschicken sollte.“
    Da richtete die Frau einen langen, dankbaren, innigen Blick auf den Mann und flüsterte: „Du Guter!“
    Wieder verging eine Zeit. Da begann dieses Mal der Mann das kurze Gespräch:
    „Wann wirst du fertig?“
    „Heute abend.“
    „Bekommst du da Geld?“
    „Zwei Gulden! Und du?“
    „Ich werde früh fertig. Vielleicht erhalte ich auch etwas.“
    „Was ist es denn, was du jetzt fertigst?“
    Er senkte den Kopf so tief herab, daß die Stirn fast die auf dem Tisch liegende Platte berührte, und antwortete leise:
    „Ein Titelkopf für ein Wochenblatt.“
    „Darum ist es so lang und schmal. Wieviel wirst du dafür
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