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61 Stunden: Ein Jack-Reacher-Roman (German Edition)

61 Stunden: Ein Jack-Reacher-Roman (German Edition)

Titel: 61 Stunden: Ein Jack-Reacher-Roman (German Edition)
Autoren: Lee Child
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Straße, die quer durch die Stadt zur Interstate führte.
    Vierzehn kriminelle Vorhaben. Tatsächlich vierzehn Verbrechen, wenn er die Vorschläge weitergab und sie in die Tat umgesetzt wurden, womit zu rechnen war. Oder fünfzehn Verbrechen, weil er selbst zum Mitverschwörer werden würde. Oder achtundzwanzig Verbrechen, wenn ein Staatsanwalt jeden einzelnen Straftatbestand als Verschwörung auffasste, was er nur so zum Spaß tun konnte. Oder weil er berühmt werden wollte. Achtundzwanzig einzelne Wege zu Scham und Schande, Verlust der Anwaltszulassung und Gerichtsverfahren sowie Urteil und Haftstrafe. Fast sicher lebenslänglich, wenn man bedachte, welche Folgen eine dieser vierzehn Anweisungen haben würde – und auch das nur bei erfolgreicher Verfahrensabsprache. Die Vorstellung, der Staatsanwalt könnte eine Absprache ablehnen, war zu schrecklich, um auch nur erwogen zu werden.
    Der Anwalt durchquerte das große Kleeblatt der Anschlussstelle und blieb auf der rechten Spur, um sich herum das trübe Grau eines Winternachmittags mit Schneefall. Nicht viel Verkehr. In seiner Richtung waren nur vereinzelte Autos und Lastwagen unterwegs, manche langsamer, die meisten schneller als er; auf der Gegenfahrbahn jenseits der Mittelleitplanke sah es ähnlich aus. Er lenkte mit einer Hand und verrenkte den Körper im Sitzen, um sein Mobiltelefon aus der Tasche zu angeln. Dann wog er es in einer Hand. Er hatte drei Möglichkeiten. Erstens: nichts tun. Zweitens: die Nummer anrufen, die ihm mitgeteilt worden war. Drittens: die Nummer wählen, die er wirklich hätte anrufen sollen: unter diesen Umständen die 911, danach sicherheitshalber die örtliche Polizei, die Highway Patrol und die County Sheriffs, dann die Anwaltsvereinigung und zuletzt einen Rechtsanwalt für sich selbst.
    Erwartungsgemäß entschied er sich für die zweite Möglichkeit. Mit Option Nummer eins hätte er riskiert, aufgespürt und umgelegt zu werden. Auch Option Nummer drei hätte mit seinem Tod geendet – bestimmt nach stunden- oder sogar tagelangen entsetzlichen Qualen. Er war nur ein kleiner nervöser Mann. Ganz sicher kein Held.
    Er wählte die Nummer, die er anrufen sollte.
    Er kontrollierte sie zweimal, dann drückte er die grüne Taste. Er hob das Handy ans Ohr, was in vielen Bundesstaaten eine neunundzwanzigste Straftat gewesen wäre.
    Nicht jedoch in South Dakota.
    Noch nicht.
    Immerhin etwas.
    Die Stimme, die sich meldete, hatte er schon viermal gehört. Rau und heiser und auf grob animalische Weise bedrohlich klingend. Eine Stimme aus einer dem Anwalt normalerweise völlig fremden Welt. »Schießen Sie los, Kumpel«, sagte sie mit einem Grinsen und einem Unterton von grausamer Belustigung, als würde der Sprechende seine absolute Macht und Kontrolle und das dadurch ausgelöste Unbehagen des Anwalts, seine Angst und seinen Widerwillen genießen.
    Der Anwalt schluckte trocken, dann begann er zu sprechen und sagte die Listen, die Vorschläge, die Sätze und Absätze ziemlich genau so auf, wie sie ihm mitgeteilt worden waren. Damit fing er sieben Meilen und sieben Minuten vor einer Autobahnbrücke an. Die Brücke sah kaum wie eine richtige Brücke aus. Die Fahrbahn führte vollkommen gerade weiter, aber das Gelände fiel zu einem breiten, nicht sehr tiefen Bachbett ab. Es war in den meisten Monaten des Jahres trocken, doch in fünf Monaten würde hier nach der Schneeschmelze ein Wildbach zu Tal schießen. Die Straßenbauer hatten ihn in ein Betonkorsett gezwängt und unter der Fahrbahn vier riesige Betonröhren verlegt, um zu verhindern, dass die Interstate unterspült wurde. Diese Wasserführung funktionierte in jedem Frühjahr gut. Sie hatte nur einen Nachteil, der sich im Winter zeigte. Um vor ihm zu warnen, hatten die Straßenbauer in beiden Fahrtrichtungen Warnschilder aufgestellt. Auf den Schildern stand: Achtung Brücke! Besondere Glatteisgefahr!
    Der Anwalt fuhr und sprach. In der siebten Minute seines Monologs war er bei dem brutalsten und ungeheuerlichsten der insgesamt vierzehn Vorschläge angelangt. Er gab sie am Telefon genau so wieder, wie er sie im Gefängnis gehört hatte: neutral und ohne Emotionen. Die raue Stimme am anderen Ende lachte, was dem Anwalt einen kalten Schauder über den Rücken jagte. Aus seinem tiefsten Inneren aufsteigende moralische Entrüstung erfasste ihn wie ein Krampf. Sie ließ seine Schultern spürbar zucken und das Handy über seine Ohrmuschel scharren.
    Und sie bewegte seine Hand am Lenkrad.
    Die
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