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61 Stunden: Ein Jack-Reacher-Roman (German Edition)

61 Stunden: Ein Jack-Reacher-Roman (German Edition)

Titel: 61 Stunden: Ein Jack-Reacher-Roman (German Edition)
Autoren: Lee Child
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Vorderreifen gerieten auf der vereisten Brücke etwas aus der Spur. Er korrigierte unbeholfen, sodass das Heck kurz ausbrach und sein Wagen einmal, zweimal, dreimal ins Schleudern geriet. Er erkannte, dass er dafür alle drei Fahrspuren brauchte. Sah einen Bus, der ihm im Schneetreiben entgegenkam. Der Bus war weiß und riesig und mit hohem Tempo unterwegs. Er raste genau auf ihn zu. Sein Hinterhirn sagte ihm, dass ein Zusammenstoß unvermeidlich sei. Sein Großhirn dagegen meinte, nein, er habe Platz und Zeit, einen Grasstreifen und zwei massive Leitplanken zwischen sich und dem Gegenverkehr. Er biss sich auf die Unterlippe, lockerte seinen krampfhaften Griff und richtete sich leicht auf, als der weiße Bus an ihm vorbeischoss: genau parallel und sechs bis sieben Meter entfernt.
    Er atmete keuchend aus.
    Die Stimme am Telefon fragte: »Was?«
    Der Anwalt sagte: »Ich bin ins Schleudern geraten.«
    Die Stimme sagte: »Berichten Sie weiter, Arschloch.«
    Der Anwalt schluckte und sprach mit dem Anfang des letzten Satzes beginnend weiter.
    Der Mann, der den in Gegenrichtung fahrenden Bus lenkte, war ein Veteran mit zwölf Jahren Berufserfahrung am Steuer. Er verfügte über die nötigen Berechtigungen, eine gute Ausbildung und ausreichend Erfahrung. Er war nicht mehr jung und noch nicht alt. Körperlich und geistig befand er sich auf der Höhe. Er hatte keine Verspätung. Er fuhr nicht zu schnell. Er war nicht betrunken. Er war nicht high.
    Aber er war müde.
    Er hatte seit fast zwei Stunden in wirbelnden weißen Schnee gestarrt. Er bemerkte ein Auto, das ungefähr hundert Meter vor ihm ins Schleudern geriet. Sah es schräg auf sich zuschießen. Seine Müdigkeit ließ ihn mit einer Zehntelsekunde Verspätung reagieren. Dann verursachte die gedämpfte Spannung eine Überreaktion in seinem ermüdeten Körper. Er riss am Lenkrad, als wiche er vor einem Faustschlag zurück. Zu spät, zu stark. Und ohnehin unnötig. Das schleudernde Auto war wieder in der Spur und bereits hinter ihm, als die Vorderreifen seinen Lenkbefehl auszuführen begannen. Oder ihn auszuführen versuchten. In genau diesem Augenblick gerieten sie aufs Eis der Brücke. Sie verloren den Kontakt zum Asphalt und rutschten. Alles Gewicht war im Heck des Busses konzentriert. Der riesige Motorblock aus Grauguss. Der Wassertank. Die Bordtoilette. Alles wie ein Pendel hinter der Hinterachse angeordnet. Das Busheck versuchte die Frontpartie zu überholen. Es kam nicht weit. Die Richtungsänderung betrug nur wenige entscheidende Grade. Der Fahrer machte alles richtig. Er lenkte gegen das Schleudern an. Aber die Lenkung ließ sich ungewohnt leicht bewegen, und die Vorderräder hatten jeglichen Kontakt zum Asphalt verloren. Der Bus reagierte nicht mehr. Sein Heck strebte in die gerade Linie zurück, dann schlug das Pendel zur anderen Seite aus.
    Der Busfahrer kämpfte dreihundert Meter weit mit aller Kraft. Zwölf endlose Sekunden lang. Er drehte sein großes Lenkrad nach rechts, dann nach links, versuchte gegenzulenken, versuchte das Schleudern abzufangen. Aber es wurde trotzdem stärker. Die Bewegungsenergie nahm zu. Das schwere Pendelgewicht im Heck schlug erst in eine Richtung, dann in Gegenrichtung aus. Die weichen Stoßdämpfer wurden zusammengedrückt und im nächsten Augenblick wieder gestreckt. Der hohe Aufbau krängte und schwankte. Das Busheck schwang fünfundvierzig Grad weit nach links, dann fünfundvierzig Grad weit nach rechts. Achtung Brücke! Besondere Glatteisgefahr! Der Bus rollte über die letzte Betonröhre unter der Interstate, und die Vorderreifen fanden wieder Halt. Aber die Räder waren in diesem Augenblick in Richtung Bankette eingeschlagen. Der ganze Bus fuhr in diese Richtung, als führte er einen legitimen Lenkbefehl aus. Als wäre er plötzlich wieder gehorsam. Der Fahrer bremste scharf. Neuschnee bildete kleine Dämme vor den Reifen. Der Bus behielt seine neue Richtung bei. Er wurde langsamer.
    Aber nicht genug.
    Die Vorderreifen rollten über den gerillten Begrenzungsstreifen, überquerten die Bankette und polterten vom Asphalt in den flachen Straßengraben voller Schnee und gefrorenem Schlamm. Der Unterboden des Fahrzeugs rumpelte, schepperte und scharrte drei bis vier Meter weit über die Fahrbahn, bis alle Vorwärtsbewegung zum Stillstand kam. Der Bus blieb leicht schräg liegend stehen: vorn zu einem Drittel im Straßengraben, die restlichen zwei Drittel noch auf dem Asphalt, das Heck mit dem Motorraum in die Fahrbahn ragend. Die
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