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Eisige Schatten

Eisige Schatten

Titel: Eisige Schatten
Autoren: Kay Hooper
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Prolog
Los Angeles
16. August 1998
    »Sprich mit mir, Cassie.«
    Fast reglos saß sie auf dem hochlehnigen Stuhl, den Kopf so weit vorgebeugt, dass ihr Gesicht hinter ihrem Haar verborgen war. Nur ihre Hände bewegten sich, ihre dünnen Finger strichen sanft über die roten Blütenblätter der kunstvoll aus Seidenpapier gefertigten Rose in ihrem Schoß.
    »Ich glaube … er bewegt sich«, flüsterte sie.
    »Wohin bewegt er sich? Was kannst du sehen, Cassie?« Detective Logans Stimme blieb gleichmäßig und ungeheuer geduldig, verriet nichts von der Besorgnis und Dringlichkeit, die ihm den Schweiß ins Gesicht trieben und seine Augen umwölkten.
    »Ich … ich bin mir nicht sicher.«
    Von seinem Platz ein paar Schritte entfernt fragte Logans Partner leise: »Warum ist sie diesmal so zögerlich?«
    »Weil er sie zu Tode ängstigt«, erwiderte Logan genauso leise. »Himmel noch mal, er ängstigt ja sogar mich zu Tode.« Er hob die Stimme. »Cassie? Konzentrier dich, Schätzchen. Was sieht er?«
    »Dunkelheit. Ich kann nichts erkennen. Es ist nur … es ist dunkel.« – »Okay. Was denkt er?«
    Sie atmete zittrig ein, und ihre dünnen Finger bebten, während sie die Papierrose betasteten. »Ich … ich möchte nicht … Es ist so kalt in seinem Kopf. Und da sind so viele … Schatten. So viele verschlungene Schatten. Bitte verlang nicht von mir, dass ich tiefer hineingehe. Verlang nicht, dass ich sie berühre.«
    Logans grimmiges Gesicht wurde bei der Angst und dem Ekel in ihrer Stimme noch düsterer, und nun war er an der Reihe, tief durchzuatmen, um die Ruhe zu bewahren. Als er sprach, war seine Stimme kühl und gelassen. »Cassie, hör mir zu. Du musst tiefer hinein. Du musst es tun, um des kleinen Mädchens willen. Verstehst du das?«
    »Ja«, erwiderte sie verloren. »Ich verstehe.« Die Stille wurde so durchdringend, dass man das leise Rascheln des Seidenpapiers hören konnte.
    »Wo ist er, Cassie? Was denkt er?«
    »Er ist in Sicherheit. Er weiß, dass er in Sicherheit ist.« Sie legte den Kopf schräg, als lausche sie einer fernen Stimme. »Die Polizei wird ihn jetzt niemals finden. Idioten. Dämliche Idioten. Er hat ihnen all die Hinweise gegeben, und sie haben sie nie erkannt.«
    Logan ließ sich von dieser verstörenden Information nicht ablenken. »Hör auf, ihn zu belauschen, Cassie. Achte darauf, was er macht, wohin er geht.«
    »Er geht los … um das Mädchen zu holen. Will es an seinen geheimen Ort bringen. Er ist jetzt für sie bereit. Er ist bereit, um …«
    »Wo ist das? Was ist um ihn herum, Cassie?«
    »Es ist … dunkel. Sie … er hat sie gefesselt. Er hat sie gefesselt … auf dem Rücksitz eines Autos. Er steigt in das Auto, lässt den Motor an. Er fährt rückwärts aus der Garage. Oh! Ich kann sie weinen hören …«
    »Hör nicht hin«, drängte Logan. »Bleib bei ihm, Cassie. Sag uns, wohin er fährt.«
    »Ich weiß es nicht.« Ihre Stimme klang verzweifelt. »Es ist so dunkel. Ich kann über die Scheinwerfer nicht hinausschauen.«
    »Sieh genauer hin, Cassie. Halte nach Orientierungspunkten Ausschau. Auf was für einer Straße fährt er?«
    »Auf … einer Asphaltstraße. Zwei Fahrbahnen. Da sind Briefkästen, wir fahren an Briefkästen vorbei.«
    »Gut, Cassie, das ist gut.« Er warf seinem Partner einen Blick zu, der eine hilflose Grimasse schnitt, und konzentrierte sich dann wieder auf den dunklen, gebeugten Kopf. »Halte weiter Ausschau. Du musst uns sagen, wohin er fährt.«
    Ein paar Augenblicke lang war nur ihr Atmen zu hören, schnell und flach. Dann sagte sie abrupt: »Er biegt ab. Auf dem Straßenschild steht … Andover.«
    Logans Partner entfernte sich ein paar Schritte und sprach leise in ein Handy.
    »Mach weiter, Cassie. Was siehst du? Sprich mit mir.«
    »Es ist so dunkel.«
    »Ich weiß. Aber halt die Augen offen.«
    »Er denkt … schreckliche Dinge.«
    »Hör nicht hin. Geh nicht zu tief hinein, Cassie.«
    Zum ersten Mal, seit sie mit der Sitzung begonnen hatten, hob sie den Kopf, und Logan zuckte zusammen. Ihre Augen waren geschlossen. Noch nie hatte er ein derart blasses menschliches Gesicht gesehen. Zumindest kein lebendes. Und diese bleiche, bleiche Haut war straff über die Knochen gespannt.
    »Cassie? Cassie, wo bist du?«
    »Tief.« Ihre Stimme klang anders, fern und beinahe hohl, als käme sie aus einem bodenlosen Brunnenschacht.
    »Cassie, hör mir zu. Du musst dich zurückziehen. Schau nur auf das, was er sieht.«
    »Das ist wie Würmer«, flüsterte sie,
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