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61 - Der verlorene Sohn 02 - Der Schmugglerkönig

61 - Der verlorene Sohn 02 - Der Schmugglerkönig

Titel: 61 - Der verlorene Sohn 02 - Der Schmugglerkönig
Autoren: Karl May
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Zusammentreffen mit Judith, und der Assessor versicherte, daß er das Mädchen sofort zitieren lassen werde.
    Unterdessen hatte Bertram sich unbeweglich still verhalten. Er schien gar nicht bemerkt zu haben, daß jemand zugegen sei.
    „Bitte, gnädiges Fräulein“, sagte der Fürst; „wollen Sie ein Wort zu ihm sprechen?“
    Sie trat näher und kniete neben dem Gefangenen nieder.
    „Herr Bertram!“
    Er antwortete nicht. Sie wiederholte den Ruf, doch mit dem gleichen Mißerfolg. Jetzt versuchte sie es mit seinem Vornamen, den sie ja gehört hatte:
    „Robert!“
    Eigentümlich! Sie, die schöne, reiche, vielbewunderte und hochgestellte Baronesse nannte einen des Einbruchs angeklagten, gefangenen Schneiderssohn, mit dem sie noch nie gesprochen hatte, beim Vornamen! Und doch kamen ihr diese zwei Silben ‚Robert‘ so leicht, so ohne alle Anstrengung von den Lippen, als ob sie dieselben bereits tausend Mal ausgesprochen habe. Und als auch dieser Ruf ohne Erfolg blieb, da gab ihr der weibliche Scharfsinn einen Gedanken ein:
    „Omanah! Hadschi Omanah!“ sagte sie, sich noch weiter zu ihm niederbeugend.
    Die anderen sahen in größter Spannung zu. Und wirklich, er öffnete langsam, langsam die Lider. Sein Blick fiel auf das herrliche, engelsgleiche Angesicht, welches so nahe an dem seinen war und dessen Wärme und Atem er verspüren konnte. Seine schmerzerfüllten Züge nahmen einen anderen Ausdruck an; dann schloß er die Augen, als ob er an diese Wirklichkeit gar nicht glauben könne.
    „Hadschi Omanah! Hören Sie mich? Öffnen Sie die Augen!“ bat sie weiter.
    Er hörte es; seine Augen öffneten sich wieder. Ein unbeschreiblich seliges Lächeln ging über sein Gesicht. Er flüsterte:
    „Nacht, o Nacht, meine süße Nacht! Leïla, die herrliche Nacht des Südens!“
    Dann fielen die Lider müde wieder zu.
    „Und der soll Sie haben bestehlen wollen!“ sagte der Fürst.
    „Niemals!“ stimmte der Assessor bei, hingerissen von der Wirkung, welche der Anblick des schönen Mädchens auf den unschuldig Gefangenen gemacht hatte. „Er ist gekommen, um sie zu verteidigen, nicht aber, um sie zu berauben!“
    Fanny hörte es. In ihre Augen traten Tränen.
    „Und nun liegt er hier, gefangen, krank und elend!“ meinte sie. „Habe da nicht auch ich Schuld daran?“
    Sie dachte an seine Worte:
    „Du meine süße Himmelslust,
O traure nicht, und laß das Weinen;
Dir soll ja stets an treuer Brust
Die Sonne meiner Liebe scheinen!“
    Sie sah nicht die Umgebung, die leeren Wände; sie beachtete nicht die anwesenden drei Männer. Ihr Herz ging auf in unendlichem Mitleid und Jammer. Sie brachte die Hand unter den Kopf des Gefangenen, um demselben eine bessere Lage zu geben; aber sofort ballte er die Hände und knirschte mit den Zähnen wie einer, der unter dem Einfluß eines wahnsinnigen Grimms steht.
    Sie fuhr erschrocken zurück und erhob sich.
    „Was war das?“ fragte sie. „So plötzlich! Warum wohl?“
    „Das ist ja eben seine Krankheit!“ erklärte der Arzt. „Er ist ganz ruhig und schlägt dann plötzlich wie ein Wütender um sich, während ihm der Schaum vor dem Mund steht. Es kommt da der ihn beherrschende Wahn über ihn, der Grimm über irgend etwas, was ich noch nicht erraten konnte.“
    „Sollte das der wirkliche Grund sein?“ fragte der Fürst im Ton des Zweifels.
    „Der wirkliche und einzige.“
    „Wollen doch einmal sehen!“
    Der Fürst beugte sich nieder und versuchte, seine Hand unter Bertrams Kopf zu bringen. Sofort schlug dieser mit beiden Fäusten um sich. Jetzt wendete der Fürst den Kranken auf die Seite und betrachtete den Hinterkopf desselben genauer.
    „Wie ist seine Gefangennahme erfolgt?“ fragte er dann schnell. „Hat er sich freiwillig ergeben?“
    „Er wurde, jedenfalls aus Irrtum, mit dem Totschläger niedergeschlagen“, antwortete der Assessor.
    „Um Gottes willen, ist es da ein Wunder, wenn man da seinen Kopf nicht berühren darf! Haben Sie denn nicht bemerkt, Doktor, daß ihm die Hirnschale zerschlagen worden ist? Vor Schmerz ist er von Sinnen, vor Schmerz und Qual!“
    Fanny stieß einen Schrei des Entsetzens aus und weinte sofort laut.
    „Die Hirnschale zerschlagen?“ fragte der Arzt.
    „Jedenfalls. Hier, untersuchen Sie ihn gefälligst!“
    „Er wird dabei nicht stillhalten. Bitte, wollen Sie so freundlich sein, mir zu helfen!“
    Fanny verließ die Zelle. Dennoch vernahm sie das schwere Ächzen und Stöhnen des Kranken. Sie floh immer weiter in den finsteren Gang
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