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61 - Der verlorene Sohn 02 - Der Schmugglerkönig

61 - Der verlorene Sohn 02 - Der Schmugglerkönig

Titel: 61 - Der verlorene Sohn 02 - Der Schmugglerkönig
Autoren: Karl May
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ist.“
    „Komm wieder?“
    „Ja, aber heute noch nicht.“
    „Kalt, kalt!“
    Sie wickelte ihn tiefer in das alte Tuch und preßte ihn fester an sich. Einige Tränen fielen aus ihren sich verdunkelnden Augen auf ihn. Der Knabe fühlte die erneute Wärme. Nun aber dieses eine Bedürfnis befriedigt war, machte sich sofort ein anderes geltend.
    „Hunger! Essen!“ sagte er.
    Sie zog seufzend den Tischkasten auf und entnahm demselben ein Stück Brotrinde. Es war das einzige, was sie noch hatte.
    „Hier, mein Kind!“ sagte sie mit zitternder Stimme. „Iß!“
    Und als der Knabe die Rinde in das kleine Mäulchen schob, um mühsam daran zu saugen, rannen ihr die Tränen in verdoppelter Stärke über die Wangen. Sie hatte selbst Hunger, aber das fühlte sie jetzt nicht. Es war ihr nur bange um das Kind. Sie wußte ja nicht, woher sie etwas Weiteres nehmen solle.
    Da ertönten draußen leichte Schritte, und es klopfte. Sie fuhr sich mit der Hand über die Augen.
    „Herein!“
    Baronesse Fanny von Hellenbach war es, welche eintrat. Sie erkannte sofort, daß die Frau geweint habe. Das tat ihrem Herzen weh, so daß sie im mitleidigsten Ton fragte:
    „Ich suche Frau Bormann. Sind Sie es?“
    „Ja“, antwortete die Gefragte, welche sich beim Anblick der vornehmen Dame verlegen erhoben hatte.
    „Ich höre, daß Sie Plätterin sind?“
    „Ja, mein Fräulein. Ich plätte für die Leute. Waschen, was ich ja gern täte, kann ich nicht, da ich in meiner Wohnung hier keinen Platz dazu habe, und zu den Herrschaften gehen, um dort zu waschen, kann ich wegen des Kindes nicht.“
    „Haben Sie gegenwärtig sehr viel zu tun?“
    „Mein Gott, ich bin ganz und gar ohne alle Beschäftigung. Ich bin zu vielen, vielen gegangen, mir Arbeit zu erbitten; aber sobald ich meinen Namen nannte, da – da – da –!“
    Ein erneuter Tränenstrom machte es ihr unmöglich, den Satz zu vollenden.
    „Arme, gute Frau! Was können denn Sie dafür!“
    Es war das erstemal, daß man im Ton des Mitgefühls zu ihr sprach. Das tat ihr so wohl, so unendlich wohl. Sie hätte aus Dankbarkeit vor Fanny niederknien mögen.
    „Wie –“, fragte sie weinend. „Sie wissen –?“
    „Ja, ich weiß es“, antwortete Fanny, sich auf dem Stuhl niederlassend, den die Frau ihr hingeschoben hatte.
    „Und dennoch kommen Sie zu mir!“
    „Warum sollte ich nicht? Sie sind unglücklich und ohne Schuld. Aber, Sie haben's eiskalt! Es brennt kein Feuer im Ofen!“
    „Ich habe weder Kohlen noch Holz, nicht einmal Licht für den heutigen Abend.“
    Fanny erblickte die harte Brotrinde, mit welcher der Kleine sich vergeblich abmühte.
    „Mein Gott! Ist das eine geeignete Nahrung für so ein Kind?“ rief sie aus.
    „Ich habe nichts anderes. Ich hungere seit vorgestern!“
    „Da muß schnell geholfen werden! Haben Sie denn niemand gesagt, welche Not Sie leiden?“
    „Oh, sehr vielen, mein Fräulein; aber ich fand statt Glauben nur Zweifel, anstatt Vertrauen Mißtrauen und anstatt Hilfe nur Grobheiten und Vorwürfe. Niemand wollte der Frau des berüchtigten Verbrechers ein Wäschestück zum Plätten anvertrauen.“
    „Das ist schlimm, sehr schlimm! Aber, wie gesagt, es muß geholfen werden. Ich werde Ihnen Arbeit geben.“
    Diese Worte machten einen außerordentlichen Eindruck auf die Frau. Ihr Gesicht leuchtete im Entzücken auf.
    „Ist das wahr, Fräulein?“ fragte sie schnell. „Ist das wahr? Wollen Sie das wirklich tun?“
    „Ja, gewiß! Damit Sie überzeugt sind, werde ich Ihnen hier diese zehn Gulden auf Abschlag geben, liebe Frau.“
    Sie entnahm ihrer Börse die angegebene Summe und hielt sie ihr hin. Die Frau des Verbrechers zögerte, die Summe anzunehmen. Sie drückte ihr Kind inbrünstig an sich und sagte:
    „Hörst du es? Arbeit soll ich haben! Sogar Geld bietet man mir an! Ich kann Milch kaufen für dich, auch Holz und Kohlen, damit du nicht länger frierst. Gott, welch ein Glück! Aber annehmen darf ich das Geld doch nicht. Es ist zuviel, um es abarbeiten zu können!“
    „Nun, so nehmen Sie es als ein Geschenk von mir!“
    „Als Geschenk? Höre ich recht?“
    „Ja, liebe Frau. Sie können es in Gottes Namen annehmen. Ich tue mir keinen Schaden; ich bin reich!“
    Sie schob der Frau das Geld in die Hand. Die brach in ein lautes Weinen aus, dieses Mal vor Freude, und sagte schluchzend:
    „Gott wird es Ihnen vergelten, mein Fräulein! Dieses Geld errettet mich und mein Kind vom Hunger und von der Kälte; aber noch viel wertvoller ist mir
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