Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
600 Stunden aus Edwards Leben

600 Stunden aus Edwards Leben

Titel: 600 Stunden aus Edwards Leben
Autoren: Craig Lancaster
Vom Netzwerk:
die die Farbe hergestellt hat. Petersiliengrün ist der Farbton.«
    »Was ist Petersilie?«
    »Kennst du dieses grüne Zeug, das sie im Restaurant immer an den Tellerrand legen?«
    »Ja. Das soll man nicht essen.«
    »Das ist Petersilie.«
    »Oh.«
    Der Junge hat die Hände in den Taschen und dreht sich unruhig hin und her. Das macht mich auch ganz unruhig. Es gefällt mir nicht.
    »Was willst du?«
    »Nichts.«
    »Dann geh weg.«
    »Na ja, also …«
    »Was?«
    »Kann ich dir streichen helfen?«

    Ich bin exaltiert. (Ich liebe das Wort »exaltiert«.)
    Da steht ein acht- oder neunjähriger Junge und streicht meine Garage. Heilige Scheiße!
    Ich fluche nicht oft, aber mir gefällt der Ausdruck »Heilige Scheiße!«. Vor etlichen Jahren habe ich mal den Film
Ich glaub’, mich tritt ein Pferd
gesehen, der sehr lustig ist. In einer Szene bringen Bluto, D-Day und Flounder aus dem Delta-Haus ein Pferd in das Büro des Dekans – warum, weiß ich nicht genau; die Szene irritiert mich –, und Flounder schießt mit einem Gewehr in die Luft, und das Pferd bekommt einen Herzinfarkt und stirbt. Die zwei anderen Typen kommen rein und sagen immer wieder: »Heilige Scheiße!« Es ist ein sehr lustiger Film.
    Als ich daran denke, muss ich kichern.
    »Da steht ein acht- oder neunjähriger Junge und streicht die Garage.«
    »Heilige Scheiße!«
    »Er ist acht oder neun, und er streicht die Garage.«
    »Heilige Scheiße!«
    »Die Garage wird von einem acht- oder neunjährigen Jungen gestrichen.«
    »Heilige Scheiße!«
    Manchmal kann ich ganz schön witzig sein.

    Der Junge streicht die Garage nicht genau so, wie ich es gerne hätte, und ich würde es ihm gerne sagen, aber während er streicht, hört er keine Sekunde auf zu reden.
    »Wie heißt du?«, will er wissen
    »Edward. Und du?«
    »Kyle. Wusstest du, dass dein Haus braun ist, aber deine Garage grün?«
    »Ja. Das Haus streiche ich nächstes Jahr.«
    »Warum nächstes Jahr?«
    »Weil ich das so mache.«
    »Bist du verheiratet?«
    »Nein.«
    »Warst du mal verheiratet?«
    »Nein.«
    »Wie alt bist du?«
    »Ich bin neununddreißig. Wie alt bist du?«
    »Ich bin neun. Ich bin 1999 geboren.«
    »In dem Jahr hat Kevin Spacey den Oscar als bester Hauptdarsteller für
American Beauty
gewonnen.«
    »Was ist das?«
    »Ein Film.«
    »Ich mag Filme.«
    »Ich auch.«
    »Bezahlst du mich dafür, dass ich deine Garage streiche?«
    Ich bin konsterniert. Das ist nicht dasselbe wie exaltiert.
    »Haben wir das vereinbart?«
    »Nein.«
    »Dann werde ich dir nichts bezahlen.«
    »Ich spare auf ein Fahrrad. Darum habe ich gefragt. Ich habe dreiundfünfzig Dollar, aber das reicht nicht für das Fahrrad, das ich will. Meine Mom sagt, vielleicht bekomme ich eins zum Geburtstag, aber sie ist noch nicht sicher.«
    »Wenn du Geld erwartet hast, hättest du das vorher mit mir verhandeln müssen. So macht man das.«
    »Ist schon in Ordnung. Ich streiche gern.«
    »Wann hast du Geburtstag?«, frage ich ihn.
    »Am neunten Februar.«
    »Und da wirst du zehn?«
    »Ja.«
    »Dann bist du neun Jahre und zweihundertneunundvierzig Tage alt.«
    »Cool! Wieso weißt du das so schnell?«
    »Ich bin gut mit Zahlen.«
    Er streicht ungleichmäßig. Manchmal streicht er auf und ab und manchmal hin und her. Kleine Farbtropfen landen nicht an der Garage, sondern fallen auf die Auffahrt. Und ich bin überrascht, dass es mir egal ist.
    Ich werde mit Dr. Buckley darüber sprechen müssen.

    Um 16:30 Uhr ist die Garage fertig. Sie sieht ganz gut aus, wenn man bedenkt, dass ein neunjähriger Junge dabei geholfen hat. Ich will Kyle die Hand geben, aber er besteht darauf, mich »High Five« abzuklatschen, was ich noch nie gemacht habe. Ich habe es bei den Dallas Cowboys gesehen, und es sieht aus, als würde es Spaß machen. Ich halte meine rechte Hand hoch, und Kyle schlägt fest dagegen. Es tut weh. Es macht nicht so viel Spaß.
    »Bis dann, Edward«, sagt Kyle und läuft über die Straße zu seinem Haus. Sein blondes Haar weht ihm um den Kopf, und er schlenkert mit den Armen.

    Um 20:07 Uhr, nachdem ich meine Spaghetti gegessen habe, höre ich es an die Tür klopfen. Ich bin irritiert. Ich bekomme selten Besuch. Seit dem 21. Juli habe ich keinen Besuch mehr gehabt.
    Ich öffne die Tür, und da steht die Frau, die ich gestern Morgen beim Rasenmähen gesehen habe, die Frau, von der ich annehme, dass sie Kyles Mutter ist.
    »Hallo? Mister … es tut mir leid, ich kenne Ihren Nachnamen nicht. Sie sind Edward,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher