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56,3° Im Schatten

56,3° Im Schatten

Titel: 56,3° Im Schatten
Autoren: Manfred Rebhandl
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dreht den Film doch noch einmal zurück, und als er den Schinken noch einmal abspielt, in Zeitlupe diesmal, sieht er auf einmal wirklich die Anni, wie sie mit dem Putzkübel in der Hand vor bald sechzehn Jahren vorne bei der Bierzeltbühne gestanden ist und darauf gewartet hat, dass sie endlich den ganzen Dreck wieder wegräumen darf, den die anderen angerichtet haben. Und dann erinnert er sich wieder, wie er mit der Glock in der Hand eingetreten ist und alle vor ihm davongerannt sind – „Make way for the bad guy! Here’s the bad guy coming through!“
    „Anni!“
    „Biermösel!“
    Herrgottnocheinmal, es muss dann einfach wirklich alles gepasst haben mit ihnen beiden – der Vollmond, die stickige Luft, der Wacholderbeerschnaps und die laute Musik, die dann auf einmal abgebrochen ist, weil der Joe mit seiner Quetschenharmonika davongerannt ist und alle anderen ihm nach. Dazu seine beeindruckende Erscheinung als schwarz gekleideter Pancho­ Villa, welche die Anni betört haben muss, und ihre Sehnsucht nach den Sternen respektive nach ein bisserl Wärme in dieser eiskalten und verregneten Sommernacht; dann der eingebrochene Tanzboden, in dem sie gemeinsam verschwunden sind, und endlich ihre Meisterschaft in Fragen der körperlichen Liebe, mit der sie es letztlich geschafft hat, dass er nicht nur auf ihr liegen geblieben ist, so wie er auf sie draufgefallen ist, sondern dass er auch was zusammengebracht hat, aber du meine Güte, dass er in nur einer Minute dreißig gleich Zwillinge zusammenbringt, damit hat keiner rechnen können! Und wenn nicht auf einmal das ganze Zelt zusammengebrochen wäre und ihn der große Stahlträger gefällt hätte, wer weiß, ob er dann nicht Elflinge zusammengebracht hätte, jedenfalls hat er auf einmal nur noch Sterne gesehen, mehr Sterne, als die Milchstraße Milch hat.
    „So war es also?“
    „So und nicht anders“, sagt die Anni freudig.
    Aber dann beschleicht sie die Angst, dass er wieder durchdrehen und vielleicht nicht zu ihr und den Zwillingen stehen könnte, weil sie so widerständig und schwierig sind (wie er selbst) und oft mehr Probleme zu bieten haben als Lösungen (wie er selbst).
    In diesem speziellen Fall aber genügen dem Biermösel die zutraulichen Augen von der Anni, sodass er die Vaterschaft aus der Hüfte heraus anerkennt. Und damit er bei der Erziehung seiner zwei Rotzlöffel, die zwar keine Buben sind, aber widerständig und schlimm, keine Zeit verliert, zieht er sie unter der Plakatwand hervor und zeigt ihnen den mahnenden Finger und mit dem mahnenden Finger gleich seinen festen Willen, ihnen ein strenger, aber gerechter Papa zu sein.
    „Brav sein, Kruzifixnocheinmal, immer schön brav sein!“
    „Ja, Papa!“
    „Und wirst du auch für sie sorgen?“, fragt ihn die Anni besorgt, als er ihr endlich die große Pranke auf die Schulter legt. Sie hat ja ein großes finanzielles Loch zu beklagen, seit so viele Stammkunden weggestorben sind. „Geht sich das mit deiner Mindestpension für uns vier aus?“
    „Anni“, sagt der Biermösel und bastelt sich seine eigene kleine Wirtschaftstheorie zusammen: „Erstens wird das Leben nicht teuerer, wenn nur noch wir vier auf der Erde herumrennen, sondern eher billiger.“ Und zweitens: „Überraschend ist ja der Onkel von den Zwillingen gestorben, mein überraschend aufgetauchter kleiner Bruder, und so ist mir überraschend eine kleine Erbschaft in den Schoß gefallen. Mit dem ganzen Schotter könntest du den Schaden dreimal begleichen, den meine zwei Rotzmäderl angerichtet haben, falls du nicht lieber überhaupt was Gescheites mit dem Geld anfangen willst und dir vielleicht ein paar warme Strumpfhosen kaufst, es werden auch wieder kalte Tage kommen, denn ewig werde ich das grausliche Zeug aus Bayern nicht saufen können.“
    „Dann ist also doch noch alles gut ausgegangen?“, fragt ihn die Anni mit ihren großen, zutraulichen Augen.
    „Schaut so aus“, sagt der Biermösel. „Schaut ganz so aus. Außer natürlich, dir fällt kurz vor Schluss noch ein, dass auch du lieber einen Franzosen heiraten möchtest, einen mit Dackelblick und schwarzem Rollkragenpullover, der gut denken kann?“
    „Schon. Aber es gibt keine mehr“, sagt die Anni.
    „Alle ausgelöscht?“
    „Man hört nichts Gutes aus den Pyrenäen.“
    Dann schultert der Biermösel seine Zwillinge und nimmt die Anni an der Hand. Und so marschieren sie in den Sonnenuntergang hinein, in Richtung Abendröte im Westen.
     
    THE END
     

Manfred
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