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53 - Deutsche Helden, Deutsche Herzen 05 - Der Engel der Verbannten

53 - Deutsche Helden, Deutsche Herzen 05 - Der Engel der Verbannten

Titel: 53 - Deutsche Helden, Deutsche Herzen 05 - Der Engel der Verbannten
Autoren: Karl May
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Er glich einer Statue.
    Da kam Semawa langsam herbei, leisen Schrittes, so daß sie kaum zu hören war. Dennoch bemerkte der Fremde ihr Nahen und wandte ihr das Gesicht zu.
    Noch stand sie im Schatten, den der nächste Wagen warf. Nun aber traf sie aus demselben heraus, und ihr Gesicht war deutlich zu erkennen.
    Da war es, als ob eine unsichtbare Hand den Mann um einen Schritt vom Wagen wegreiße, und er erhob die Arme und stieß jenen lauten Schrei aus, durch den Steinbach in seiner Rede unterbrochen worden war.
    Semawa erschrak. Sie blieb stehen und heftete ihre Augen auf den Mann.
    „Allah, il Allah!“ schrie dieser auf, indem er sich der arabischen Sprache bediente, die auch die Bekenner des Islams in Hochasien sprechen und verstehen. „Ist es ein Wunder? Stehen die Toten auf?“
    Der Mann ließ die Arme wieder sinken, behielt aber sonst die Stellung bei, die sein Entsetzen ausdrückte, und rief:
    „Kalida!“
    Semawa trat sofort einen Schritt näher, bohrte ihren Blick in sein Gesicht und fragte:
    „Kalida? Kanntest du sie?“
    „Ob ich sie – ob ich dich kannte! Du bist es ja selbst! Oh, Allah ist groß. Allah ist allmächtig! Die Toten stehen auf, um sich zu rächen!“
    Dann sank er langsam in die Knie.
    „Ich lebe, ich bin keine Tote“, sagte Semawa.
    „Nein, du bist keine Lebende. Du kommst aus dem Jenseits, um dich zu rächen. Gnade, o Gnade!“
    „Wie heißt du?“
    „Weißt du das nicht mehr? Ist mein Name dir in den Herrlichkeiten jenes Lebens verlorengegangen?“
    Semawa trat jetzt ganz nahe zu dem Mann heran und beugte sich nieder zu ihm. Dann nahm sie ihm die Mütze vom Kopf und erblickte sein geschorenes Haupt; den Kopf, den sie in ihrer Kindheit so oft gesehen hatte. Ja, er war alt geworden, sehr alt, dieser einstige Diener ihres Vaters, aber seine Züge waren so charakteristisch, daß sie dieselben sofort erkannte.
    „Nena!“ rief sie aus, indem sie seine Mütze aus der Hand fallen ließ.
    „Du kennst mich, oh, du kennst mich!“ stieß er hervor.
    „Verräter!“
    „Gnade, Gnade!“ bat er, die Arme zu ihr erhebend. „Du bist eine Selige, Kalida. Du kannst mich nicht verdammen. Bitte Allah, daß er sich meiner erbarmen möge!“
    „Ich bin nicht Kalida“, antwortete sie.
    „Nicht Kalida, das Weib meines Maharadschas? Wer wärst du sonst?“
    „Ich bin Semawa, ihre Tochter.“
    Da sprang er auf, wie von einer Spannfeder geschnellt, vom Boden auf und schrie laut:
    „Semawa, Semawa! Allah ist groß. Semawa ist da! Semawa ist gefunden! Sihdi! Sihdi, öffne deine Ohren und vernimm die Botschaft daß –“
    „Still, ich weiß es bereits“, sagte Steinbach, der herbeigetreten war und ihm nun beruhigend die Hand auf den Arm legte.
    „Du weißt es? Du weißt es?“ fragte der Inder. „Und du jubelst nicht laut auf, daß alle Welt es hört? Du springst nicht vor Freude und Wonne? Semawa ist gefunden, und du stehst hier bei ihr, als ob sie nie verloren gewesen wäre!“
    Es war Nena anzusehen, daß sein Entzücken ein wirklich aus dem Herzen kommendes sei. Semawa war gerührt davon, obgleich sie ihm so viel Böses zu verdanken hatte.
    „Du lebst! Du bist hier!“ fuhr er fort. „Wo du bist, muß auch derjenige sein, der mir so viel zu verzeihen hat, dein Vater, der Maharadscha. Weißt du von ihm?“
    „Ja“, antwortete sie. „Er lebt als Verbannter. Du weißt es ja. Du bist es ja gewesen, auf dessen falsches Zeugnis hin er fortgeschleppt und verurteilt worden ist.“
    „Ich habe es bereut, längst bereut und werde alles, alles wieder gutmachen. Ich werde beschwören, daß er nicht Saltikoff heißt, sondern daß er der verschwundene Maharadscha von Nubrida ist.“
    Da antwortete Semawa in mildem Ton:
    „So sei dir vergeben! Möge Allah dir verzeihen, wie ich dir verzeihe! Steh auf.“
    Nena ergriff ihr Gewand und zog es an seine Lippen.
    Steinbach aber nahm jetzt die Geliebte bei der Hand, um sie nach dem Zelt zu führen.
    „Ich danke dir!“ flüsterte er ihr liebevoll zu. „Fast glaubte ich, du würdest ihm die erbetene Gnade versagen.“
    Als sie an das Zelt gelangten, trat von der anderen Seite ein Tunguse heran, um mit dem Fürsten Bula, der noch immer vor dem Eingang stand, zu sprechen. Steinbach wollte sich rasch zurückziehen, aber Bula sagte:
    „Bleibt hier! Was dieser Mann mir zu sagen hat, das dürft ihr hören.“
    Aber der Tunguse kam doch in Verlegenheit, denn er schüttelte den Kopf und meinte:
    „Väterchen, nur du darfst es erfahren, du und Karpala,
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