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36 - Das Vermächtnis des Inka

36 - Das Vermächtnis des Inka

Titel: 36 - Das Vermächtnis des Inka
Autoren: Karl May
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eine erleuchtete Wohnung ein? Sollte vielleicht nur ein Scherz oder etwas Ähnliches beabsichtigt werden? Dann wäre es Torheit gewesen, Lärm zu schlagen. Doch hielt der Deutsche die Augen scharf auf die beiden Männer. Jetzt stieg der eine derselben empor, während der andere die Leiter hielt. Oben angekommen, sah er in das Zimmer, kam dann einige Sprossen herab und raunte dem Untenstehenden einige Worte zu. Es schien dem Kellner, als ob der Sprecher einen metallisch glänzenden Gegenstand in der Hand halte. Dann gab es ein zweimaliges leises Knacken, wie wenn die Hähne einer Doppelpistole aufgezogen werden. Nun wurde ihm himmelangst; er schlich schnell näher. Noch flüsterten die beiden miteinander. Sie konnten ihn nicht sehen, weil er sich tief an der Erde bewegte. Er hörte die Worte: „Er sitzt und liest.“
    „In welcher Lage?“
    „Die linke Seite dem Fenster zugekehrt.“
    „Ist sein Gesicht frei?“
    „Ja. Er hat die andere Seite des Kopfes in die Hand gelegt.“
    „Dann schieße ihn in die Schläfe; das ist die sicherste Stelle.“
    Also um einen Mord handelte es sich! Der Kellner erschrak so, daß er sich für einige Augenblicke nicht zu bewegen vermochte. Und da stieg der Kerl wieder aufwärts und richtete den Lauf der Pistole, welche er in der Rechten hielt, in das Zimmer. Das gab dem Lauscher seine Beweglichkeit zurück. Er schrie laut auf, sprang zur Leiter, warf den Untenstehenden zur Seite und stieß sie um, so daß der Obenstehende, welcher soeben abdrückte, gerade beim Krachen des Schusses jäh zum Sturz kann. Der Kellner warf sich auf ihn, um ihn festzuhalten.
    „Laß los, du Schuft, sonst knallt's!“ knirschte der verhinderte Mörder.
    Ein Schuß löste sich, und der Kellner fühlte einen stechenden Schmerz im linken Arm. Durch die Verletzung behindert, konnte er den Täter nicht mehr festhalten. Dieser sprang auf und verschwand schnell in der Dunkelheit. Sein Komplize war schon vorher davongerannt.
    Die beiden Schüsse hatten die Bewohner des Hauses geweckt. Es begann in demselben lebendig zu werden. Zugleich wurde droben in dem erleuchteten Zimmer eines der Fenster geöffnet; der Doktor steckte den Kopf heraus und rief: „Welcher Mordbube schießt denn da nach mir! Warum läßt man mich nicht ruhig lesen?“
    Da erschrak der Kellner von neuem und antwortete: „O jerum, jerum! Sind denn Sie's, Herr Doktor, welcher umjebracht hat werden sollen?“
    „Wer ist denn da unten? Diese Stimme kommt mir bekannt vor.“
    „Ick bin es, ick, Fritze Kiesewetter, Herr Doktor.“
    „Fritze Kiesewetter? Mir ist ein Individuum dieses Namens noch nicht vorgekommen.“
    „O doch! Heute im Café de Paris haben Sie mir kennenjelernt. Sie wollten mir wegen die Sündflutsknochen engagieren.“
    „Ah, der Kellner! Aber, Mensch, wie kommen Sie denn auf die Idee, nach mir zu schießen?“
    „Als wie ick? Das ist stark! Da hört nun oft und manchmal allens auf! Ick soll es jewesen sind, der jeschossen hat!“
    „Wer denn? Oder sind Sie nicht allein?“
    „Ick bin janz allein, nach Schiller die einzige fühlende Larve hier in dem Jarden.“
    „Wohnen Sie denn hier im Haus?“
    „Auch nicht.“
    „Aber was wollen Sie da denn hier?“
    „Ihnen retten. Und nun, da Sie mich dat Leben zu verdanken haben, halten Sie mir für den reinen Meuchelmord. Dat kränkt mir in die Seele!“
    Er sollte nicht von dem Doktor allein, sondern auch noch von anderen verkannt werden. Die Hausbewohner kamen mit Lichtern und Laternen, mit allen möglichen Waffen in den Händen heraus, um den Missetäter zu ergreifen. Da half kein Bitten und Reden; Fritze Kiesewetter wurde festgenommen und hineingeschafft, wobei es nicht ohne kräftige Stöße abging, deren Spuren er noch später fühlte. Man wollte nach Polizei senden, um ihn abholen zu lassen, doch bat er, ihn doch erst ruhig anzuhören. Der Doktor unterstützte diese Bitte durch die Erklärung: „Der Mensch ist ein vorzugsweise denkendes Geschöpf; lassen Sie uns also denken, da wir Menschen sind. Ich habe diesem jungen Mann kein Leid getan, ihn vielmehr in meinen Dienst nehmen wollen. Ist das ein Grund, mich zu erschießen? Nein. Auch hat er kein Mörder-, sondern ein ehrliches Gesicht. Und selbst wenn er ein Meuchler wäre, so ist das noch kein Grund, ihm das Sprechen zu verbieten. Ich beantrage also, ihm die Erlaubnis zu erteilen, seine Verteidigung, lateinisch Defensio, vorzubringen.“ Der erzürnte Bankier war eigentlich dagegen, mußte aber seinem Gast schon aus
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