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36 - Das Vermächtnis des Inka

36 - Das Vermächtnis des Inka

Titel: 36 - Das Vermächtnis des Inka
Autoren: Karl May
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haben sich nicht an mich herangetraut, Señor. Wahrscheinlich hat der letztere Grund vorgelegen, denn ich bin all mein Lebtag nicht der Mann gewesen, den man so leicht auffressen kann. Und selbst jetzt in meinen alten Tagen habe ich Kraft genug im Arm, einen, der sich über mich lustig machen will, auf das lose Maul zu schlagen. Merken Sie sich das, Señor!“
    „Nur nicht gleich so hitzig, Alter! Es war ja gar nicht so gemeint“, lenkte Perillo ein, denn die Szene im Café de Paris hatte ihn vorsichtig gemacht. „Ich wollte nur sagen, daß ich den Jaguar nicht für gefährlich halte.“
    „Er ist gefährlich für jeden Menschen, nur für einen einzigen nicht.“
    „Wer ist das?“
    „Das können Sie sich denken. Es hat doch jeder von ihm gehört, und sein Name beweist das, was ich von ihm behaupte.“
    „So meinen Sie den Vater Jaguar?“
    „Ja.“
    „Man sagt von ihm freilich, daß er dem wildesten Jaguar mit unbewaffneten Händen zu Leibe gehe, aber ich glaube es nicht.“
    „Und ich glaube es, denn ich habe es gesehen.“
    „Gesehen? Hm!“
    „Mit diesen meinen Augen gesehen. Señor, Sie können es glauben.“
    „Wo ist denn das gewesen?“
    „Im Gran Chaco.“
    „Da sind Sie mit diesem Mann zusammengetroffen?“
    „Nicht zusammengetroffen, sondern mit ihm hingeritten. Er ist unser Anführer, und ich gehöre noch heute zu seinen Leuten.“
    Kaum hatte der Alte diese Worte gesagt, so wurden rundum Ausrufe des Staunens, der Verwunderung laut. Man sprang auf, um an seinen Tisch zu kommen und ihm die Hand zu drücken. Man wollte aus mehreren zusammengeschobenen Tischen eine lange Tafel bilden, an welche er sich mit setzen sollte, um von dem berühmten Mann zu erzählen, dessen Namen und Taten in aller Munde waren. Er aber wehrte ab und begründete seine Weigerung mit den Worten: „Der Vater Jaguar liebt es nicht, daß wir von ihm sprechen. Er hat uns geradezu verboten, von ihm zu erzählen, und Sie dürfen es mir nicht übelnehmen, Señores, wenn ich sage, daß ich ihm Gehorsam schulde.“
    „Wie sieht er denn eigentlich aus?“ erkundigte sich Perillo.
    „Wie jeder andere Mensch.“
    „Und wie alt ist er?“
    „Vielleicht fünfzig Jahre.“
    „Ein Eingeborener?“
    „Ich habe seinen Geburtsschein noch nicht in der Hand gehabt, Señor.“
    „So sagen Sie mir wenigstens, ob er wirklich so ungeheuer stark ist, wie man von ihm erzählt!“
    „Was das betrifft, so habe ich gesehen, daß er einen Ochsen bei den Hörnern packte und ihm den Kopf fest auf die Erde drückte.“
    „Caramba! Das wäre stark! Sie übertreiben doch nicht?“
    „Ihretwegen mache ich keine Lüge. Darauf können Sie sich verlassen. Ich kann nur einem jeden wünschen, nicht einmal in die Lage zu kommen, die Fäuste des Vaters Jaguar zu fühlen.“
    „Darf man denn nicht erfahren, was er eigentlich treibt? Bald sagt man, er sei ein Yerbatero; bald nennt man ihn einen Goldsucher, bald einen Sendador, welcher die Karawanen über die Anden führt. Ich habe sogar schon gehört, daß er ein politischer Parteigänger sei, welcher sein Gewehr bald diesem und bald jenem Aufrührer leihe.“
    Yerbateros sind Teesammler, welche in die Urwälder ziehen, um den bekannten Paraguaytee zu suchen. Ihr Leben ist mit vielen Gefahren verknüpft. Sendador heißt Pfadfinder, bedeutet also genau dasselbe, was das nordamerikanische Wort Scout bedeutet. Der Alte antwortete: „Was er eigentlich ist, das kann ich Ihnen wohl sagen: Er ist ein Mann, und zwar ein ganzer Mann, wie es wohl selten einen zweiten gibt, auch Sie nicht ausgenommen. Aufrührern hat er noch nicht gedient und wird er auch nie dienen. Er ist ein Freund aller guten und ein Feind aller schlechten Leute. Sollten Sie vielleicht nicht zu den ersteren gehören, so hüten Sie sich ja, ihm einmal zu begegnen.“
    „Sie werden immer schärfer und anzüglicher, mein alter Señor! Hat es Sie denn gar so sehr verdrossen, daß ich den Jaguar für ein feiges Tier gehalten habe?“
    „Das nicht. Aber daß Sie behaupteten, ihm nur mit dem Messer zu Leibe gehen zu wollen, sagte mir, daß Sie entweder ein Aufschneider oder ein unwissender Mensch seien, und beide kann ich nicht leiden. Der Jaguar, den wir morgen sehen werden, hat wahrscheinlich am Fluß gewohnt, kann aber auch aus der Pampa gekommen sein. Wir werden ja erfahren, wie er sich benimmt. Was mich betrifft, so bin ich auf ihn nicht im geringsten neugierig. Viel eher verlangt es mich, ob sich einer der Espadas an den Büffel wagen
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