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36 - Das Vermächtnis des Inka

36 - Das Vermächtnis des Inka

Titel: 36 - Das Vermächtnis des Inka
Autoren: Karl May
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geleugnet hat.“
    „Er hat sich nur den Bart scheren lassen und die Tracht eines Gaucho angelegt. Damit macht er doch Leute, wie wir sind, nicht irre. Ich muß wissen, wo er wohnt. Schleiche ihm nach!“
    „Gehst du nicht mit?“
    „Nein. Er könnte sich umdrehen und mich erkennen. Dann würde er Verdacht fassen. Ich trete in die Confitería hier rechts, um auf deine Rückkehr zu warten.“
    Perillo ging in die Kuchenstube, und der andere folgte dem Deutschen heimlich nach. Die Straße, welche dieser langsam hinauf schritt, führte, wie bereits gesagt, in schnurgerader Linie fort, denn Buenos Aires ist höchst regelmäßig gebaut. Es besteht aus lauter Häuservierecken, zwischen denen die Straßen sich genau rechtwinklig kreuzen. Man kann also den Plan der Stadt mit einem Schachbrett vergleichen.
    Die Umgebung derselben ist landschaftlich ganz und gar unbedeutend. Es gibt keine Abwechslung, keine Höhen und Täler, keine Büsche und Wälder. Hat man die Stadt hinter sich, so steht man auf der offenen, ebenen Pampa, und am Horizont schwimmen Himmel und Erde so zusammen, daß von einer Grenzlinie zwischen beiden keine Rede ist. Der Hafen ist schlecht, und das Wasser des Plata hat eine lehmige, schmutzige Farbe, so daß auch er der Stadt keinen Reiz verleiht.
    Buenos Aires bedeckt ungefähr den gleichen Flächenraum wie Paris. Man kann sich also denken, wie weitläufig alles ist. Es gibt mehrere sehr schöne Straßen und Plätze, kommt man aber über den Kern der Stadt hinaus, so trifft man auf roh gemauerte Magazine, häßliche Hütten und Schuttplätze. Einige der Außenstraßen freilich haben ein elegantes Aussehen, da an ihnen die Villen der reichen Einwohner stehen. Eine solche Villa wird hier Quinta genannt.
    In den innern und belebtesten Vierteln der Stadt findet man zwei-, drei- und wohl auch vierstöckige Häuser; sonst aber bestehen die Gebäude nur aus dem Erdgeschoß; sie ragen nicht in die Höhe, dehnen sich aber desto mehr in die Breite und Tiefe. Diese Gebäude haben flache, mit Ziegelsteinen belegte Dächer, über denen sich kleine Warttürme erheben, die man Miradores nennt. Die Dächer sind ein klein wenig geneigt, damit der Regen in den Hof und die in demselben befindliche Zisterne ablaufen kann. Denn bis vor kurzem trank man nur dieses Zisternenwasser.
    Wenn von dem Hof die Rede ist, so haben nur die ärmeren Leute einen einzigen solchen. Bessere Häuser aber schließen drei, vier und noch mehr Höfe ein. Steht man vor der in durchbrochener Eisenarbeit künstlerisch modellierten Tür eines solchen Gebäudes, so kann man durch dieselbe eine ganze Reihe von sauberen, mit Springbrunnen und Blumen geschmückten Marmorhöfen sehen. Denn Marmor ist das Material, aus welchem die Häuser der Wohlhabenden gebaut werden.
    Wird gefragt, warum es in Buenos Aires nur flache Dächer gibt, so ist die Antwort sehr einfach. Zunächst erfordern schräge, hohe Dächer weit mehr Material und sind nur in solchen Gegenden notwendig, wo eine durchschnittlich große Regenmenge fällt. In Buenos Aires aber fällt bedeutend weniger Regen als bei uns. Sodann würden hohe Dächer und Giebel dem Pampero, dem gewaltigen, verheerenden Sturm, welcher von den Kordilleren niederstreicht, viel zu große Flächen bieten. Und endlich bieten flache Dächer die Annehmlichkeit, daß man auf ihnen des Abends Spazierengehen und frische Luft schöpfen kann.
    Wer da glaubt, daß man auf den Straßen von Buenos Aires eine Menge dahergaloppierender Gauchos sehen kann, hat sich sehr geirrt. Man möchte vielmehr glauben, sich in einer europäischen Stadt zu befinden. Alles kleidet sich hier in französische Tracht. Auch ist die Zahl der Europäer, welche hier wohnen, eine ganz beträchtliche. Nur die Hälfte der Bevölkerung sind Argentinier. Es gibt 4.000 Deutsche, 15.000 Franzosen, 20.000 Spanier und 50.000 Italiener, außerdem viele Engländer und noch mehr Schweizer. Dieses Durcheinander so vieler Nationalitäten hat eine ungewöhnliche Sprachgewandtheit zur Folge. Leute, ja sogar junge Personen, welche mit vollster Fertigkeit drei, vier und wohl noch mehr Sprachen beherrschen, finden sich hier mehr als selbst in Paris, London und New York.
    Was nun den Namen der Stadt betrifft, so trägt sie denselben wohl kaum mit vollem Recht. Buenos Aires heißt ‚gute Lüfte‘, aber wenn die Sonne heiß auf die platten Dächer der tiefliegenden Stadt brennt, so vermag man es in den dumpfen, drückenden Räumen kaum auszuhalten. Und Bäume, die
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