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34° Ost

Titel: 34° Ost
Autoren: Coppel Alfred
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dort, im Labyrinth der Betonblöcke, die man an diesem trostlosen Ort an der Demarkationslinie errichtet hatte, wurden sie irgendwo abgelegt und gerieten in Vergessenheit.
    Die Dolmetscherin las nun schon seit fast einer Stunde, und General William Tecumseh Sherman Tate verlor allmählich die Geduld.
    Sein Blick wanderte von einem Ende der schmalen, niedrigen Konferenzbaracke zum anderen. Eine große russische Karte der Sinai-Halbinsel mit den fünf Zonen, in die die herzförmige Landmasse zwischen Ägypten und Israel geteilt worden war, beherrschte die Stirnwand.
    Die Teilung war die Folge weltweiter Enttäuschung und Verbitterung über einen immer wieder aufflackernden Krieg, über angenommene und nicht eingehaltene Resolutionen, dauernde Angriffe und Vergeltungsschläge gewesen. Die Supermächte hatten sich endlich gezwungen gesehen, zu tun, was sie, nach Tates Meinung, schon längst hätten tun sollen: sich unmittelbar zwischen die Kombattanten zu stellen. Doch die gemeinsame Mittlerrolle führte nicht automatisch zu freundschaftlichen Beziehungen. Davon war in dieser Baracke nur wenig zu spüren.
    An den Fenstern gab es keine Jalousien; die schräg einfallende Morgensonne ließ die Luft im Raum heiß und stickig werden. Die Russen saßen in vollem Sonntagsstaat da, trugen ihre Uniformjacken mit Medaillen und Auszeichnungen. Der alte General bestand darauf. Juri Ulanin war wirklich ein Tyrann, dachte Bill Tate. Der Alte hatte Tate sogar einmal nahegelegt, dass auch die amerikanischen Offiziere in etwas formellerer Kleidung zu diesen wöchentlichen Zusammenkünften erscheinen sollten. Tate hatte den Vorschlag höflich abgelehnt und erklärt, dass ehemalige Zivilisten, aber auch Berufssoldaten bockig wurden, wenn man sie dazu zwang, bei fünfunddreißig Grad im Schatten reguläre Dienstanzüge zu tragen.
    Der alte General hatte das zur Kenntnis genommen und nur gesagt, dass seine Offiziere auch in Zukunft und bei jedem Wetter in voller Uniform mit Ehrenzeichen erscheinen würden; die Schwere ihrer Verantwortung für den Weltfrieden hier in der Zone würde dies erfordern. Sein missbilligender Ton ließ Tate deutlich erkennen, dass er die amerikanische Haltung in dieser Frage als nekulturny  – unkultiviert – ansah.
    Es stand General Ulanin zu, das Kommando so zu führen, wie es ihm beliebte. Er war ein berühmter Soldat. Er hatte in Stalingrad schon eine Kompanie befehligt, als William Tecumseh Sherman Tate noch auf dem Paradeplatz des Presidio in San Francisco Soldaten gespielt hatte. Wenn es Ulanin so passte, seinen Stab unter schwerem Tuch und Reihen von Dekorationen schwitzen zu lassen, so hatte er jedes Recht dazu.
    So saßen die Russen also da und litten, während draußen die Ehrengarde im Stechschritt hin und her marschierte und ein paar apathische ägyptische Offiziere in der glühenden Sonne darauf warteten, dass ihre sowjetischen Verbündeten sie hereinrufen und feierliche Erklärungen gegen die Amerikaner und Israelis abgeben lassen würden.
    Bill Tate, der sich in seiner Uniformbluse mit offenem Kragen einigermaßen wohl fühlte, hatte keine israelischen Offiziere mitgebracht. Er war schon vor geraumer Zeit zu der Überzeugung gekommen, dass Israelis und Ägypter bei diesen Zusammenkünften keinerlei Funktion erfüllten, und er wollte Brigadier Rabin oder Hauptmann Zadok nicht der Demütigung aussetzen, wie jetzt die Ägypter draußen im Lager darauf warten zu müssen, dass man sie vielleicht doch einmal in die Konferenzbaracke rief.
    Tates Gruppe bestand aus seiner WAC-Sekretärin, Captain Elizabeth Adams, seinem Stabschef Colonel Seidel – von der Mannschaft ›der Richter‹ genannt –, seinem Piloten Captain Beaufort und Sergeant Anspaugh, seinem Fahrer. An diesem Morgen hatte er auch die Presse mitgebracht: Abel Crissman von der Agentur Reuter und Tom Vano von UPI. Die Zeitungsleute hatten sich ins ›Haus der Wahrheit‹ begeben, um dort einen kühlen Drink, ein russisches Frühstück und sowjetische Propagandabroschüren in Empfang zu nehmen. Beaufort war beim Helikopter auf dem Landestreifen verblieben.
    Colonel Dale Trask, der erst vor kurzem ernannte Kommandeur des taktischen Geschwaders der Amerikaner, hätte auch dabei sein sollen. Trask aber wollte einen Einweisungsflug in einem der VTOL-Shrikes unternehmen, und Bill Tate hatte – wenn auch mit einigem Widerwillen – davon Abstand genommen, Trask zu befehlen, seinen Flug zu verschieben.
    Tate war nicht gerade glücklich über
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