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34 Meter über dem Meer - Reich, A: 34 Meter über dem Meer

34 Meter über dem Meer - Reich, A: 34 Meter über dem Meer

Titel: 34 Meter über dem Meer - Reich, A: 34 Meter über dem Meer
Autoren: Annika Reich
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dafür riskiert. Wenn das jetzt alles umsonst war…«
    Ella schaute sie fragend an.
    »Ich hab sie mir aufspritzen lassen, so wie die in Hollywood, Wahnsinns-Lippen, echt irre. Wenn die jetzt im Eimer sind…«
    »Das wird wieder«, sagte Ella und versuchte, Natalia in die Augen zu schauen. »Jetzt musst du erst mal gesund werden und dann…«
    »Mein Kopf«, stöhnte Natalia.
    »Soll ich eine Schwester holen?«
    »Bloß nicht«, sagte Natalia.
    »Bloß nicht«, wiederholte Ella.
    »Ich hab mir die Schuhe zugemacht, daran erinnere ich mich noch. Das war’s. Der Klettverschluss, danach nichts mehr.«
    Ella nickte.
    »Kannst du mir denn erzählen, was passiert ist?«, fragte Natalia.
    Ella erzählte von den Geräuschen, dem Schreck, dem fuchtelnden Lastwagenfahrer, der Frau in dem Hosenanzug, dem Pulsieren, dem Lautstärkeregler in ihrem Kopf und ihrem Traum.
    Als Ella fertig war, schaute Natalia sie mit geröteten Augen an und sagte: »Kannst du mir morgen wieder was erzählen? Mich wird sicher niemand besuchen.«
    Ella nahm kurz ihre Hand.
    »Was denn?«, fragte Ella.
    »Was denn?«
    »Was soll ich dir denn erzählen?«
    »So was wie eben. Über mein Leben. Noch nie hat mir jemand was von meinem Leben erzählt. Und du erzählst so schön, so langsam.«
    »So langsam?«, fragte Ella.
    »Na ja, allein eine Geschichte zu erzählen, ist doch schon was irre Langsames, findest du nicht? Viel mehr als drei, vier Sätze sagt doch sonst keiner am Stück.«
    »Das kann sein«, sagte Ella und wunderte sich.
    Natalia schloss die Augen und legte den Kopf auf die Seite. »Ich kann nur hoffen, dass meine Lippen wieder werden.«
    Ella schwieg.
    »Wie war das noch mal, als ich auf dem Boden lag?«, flüsterte Natalia.
    »Du sahst ganz friedlich aus, ganz friedlich. Dein Arm lag auf meinen Füßen…«, fing Ella an, und dann erzählte sie Natalia die Geschichte noch einmal von vorn.
    Als Ella erneut fertig war, weinte Natalia ganz leise vor sich hin: »Weißt du, wie sich das alles anhört: wie die Geschichten, die Eltern ihren Kindern erzählen, von früher, als sie noch kleiner waren… Hast du morgen überhaupt Zeit?«
    »Ich habe zu viel Zeit im Moment. Ich warte darauf, dass meine erste Arbeit endlich losgeht.«
    Natalia lächelte sie an: »Das ist gut.« Dann fragte sie: »Was ist denn deine erste Arbeit?«
    »Radio. Ich hab für die vor kurzem ein paar Porträts über berühmte Frauen geschrieben, und jetzt haben sie mir einen festen Job gegeben. Kaum zu fassen. Das hatte ich mir schon lange gewünscht, auch wenn ich ziemlichen Respekt davor habe, weil ich nicht weiß, ob ich das alles gut hinbekomme.«
    »Das ist doch total egal. Ich meine, du hast den Job doch jetzt, was will man mehr? Du bist verräumt, versichert, bekommst Kohle, und wahrscheinlich nicht zu knapp«, sagte Natalia und schaute zur Seite.
    »Ich freue mich ja auch… Dann komme ich also morgen wieder?«, fragte Ella.
    »Ja«, sagte Natalia, »bitte.«
    »Ich kann dir was von einer meiner Frauen erzählen, wenn du magst…«
    Natalia lächelte Ella an, wollte wieder die linke Hand heben, um ihr zu winken, und zeigte dann mit dem Kopf auf den Katheter: »Ich bin Linkshänderin, das haben sie natürlich nicht gewusst, als sie dieses blöde Ding hier gesetzt haben.«
    »Bis morgen«, sagte Ella und schaute zum Schluss noch einmal auf Natalias Lippen, die wahrlich monströs aussahen.
    Als Ella schon fast aus dem Zimmer war, fragte Natalia: »Sag mal, was ich dich noch fragen wollte…«
    Ella drehte sich um: »Ja?«
    »War da eigentlich ein Mann am Unfallort, so mittelalt mit weißem Haar?«
    Ella stutzte: »Mit weißem Haar?«
    Natalia schaute sie erwartungsvoll an.
    »Nein«, antwortete Ella, »hab ich nicht gesehen, aber das heißt nichts, ich war ja ziemlich durch den Wind. Warum? Was ist denn mit ihm?«
    »Ach, nichts«, sagte Natalia, »ich dachte nur… Bis morgen, Ella.«
    »Bis morgen«, sagte Ella und ging aus der Tür. Ein Mann mit weißem Haar?
    Ella zog ihre Schutzkleidung aus, ging durch die Gänge des Krankenhauses, verlief sich ein paar Mal und fand endlich doch noch die automatische Tür. Die Luft war kühl, zu kühl für einen Spätsommertag.
    Sie hatte auch einmal in einem Krankenhaus gelegen, als kleines Mädchen nach einem schlimmen Fahrradunfall, und ihre Mutter hatte sie nicht besucht, nicht ein einziges Mal. Sie würde morgen wiederkommen und Natalia nach dem Weißhaarigen fragen.
    Jetzt fror Ella, und ihre Haarwurzeln taten weh. Das war
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