Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
34 Meter über dem Meer - Reich, A: 34 Meter über dem Meer

34 Meter über dem Meer - Reich, A: 34 Meter über dem Meer

Titel: 34 Meter über dem Meer - Reich, A: 34 Meter über dem Meer
Autoren: Annika Reich
Vom Netzwerk:
das untrügliche Zeichen, dass sie nicht allein bleiben konnte. Ihre Haarwurzeln schmerzten nur zu Beginn einer fiebrigen Grippe und in Momenten, in denen ihr Entschluss, sich nicht mehr verloren zu fühlen, verloren ging. Hatte sie vorhin im Café noch gedacht, dass sie Paul nie wieder anrufen würde, holte sie jetzt ihr Telefon heraus und wählte seine Nummer.
    »Paul?«
    »Ja?«
    Beide schwiegen.
    »Schön, deine Stimme zu hören«, sagte er. »Wieso ist sie eigentlich so rauh? Du bist doch keine Italienerin, oder?«
    Sie räusperte sich.
    »Ist was passiert?«, fragte er.
    »Nein«, sagte sie.
    »Sicher? Du klingst so komisch.«
    »Nein, nein, ich bin nur durcheinander.«
    »Wegen gestern Abend?«
    Sie nickte.
    »Der Kuss war…«, begann er.
    »Warum bist du gefahren?«, fragte sie leise, und die Szene von gestern Abend lief noch einmal vor ihr ab: Eine ganze Weile konnte sie einfach nicht glauben, dass er tatsächlich gefahren war. Paul hatte so anders auf sie gewirkt als die Männer, in die sie sich bisher verliebt hatte, fast so, als könnte es mit ihm etwas werden. Und dann hatte er sie stehengelassen und war gefahren, und sie hatte vor der Haustür mit der Schlafbrille auf der Stirn das Klingelbrett betrachtet: ihr Name mit Kugelschreiber auf einem ausgefransten Klebeband, die Namen ihrer Nachbarn sauber getippt unter kleinen Plastikschildern.
    »Ich weiß nicht«, antwortete er sanft, »ich hab’s selbst nicht verstanden.«
    Ella schwieg. Im Bett hatte sie dann an ihrer Armbeuge gerochen und an ihren Handflächen.
    »Als ich dich nicht mehr im Rückspiegel hatte, wäre ich fast wieder umgedreht«, sagte er, »aber wie hätte das denn ausgesehen?«
    »Gut«, sagte Ella leise, »wie ein schöner Abend.«
    »Da war ich mir nicht so sicher«, sagte er.
    »Mit dem schönen Abend?«, fragte sie.
    »Es war wunderschön«, sagte er. »Ich wollte dir auch noch ganz viel sagen, aber das hab ich mich nicht getraut, und deswegen bin ich lieber gefahren.«
    Das klang nicht gut, dachte sie. Und was auch immer es war, was da nicht gut klang: sie wollte es nicht hören. Schnell was sagen. »Ich hoffe, du hattest stinklangweilige Träume«, sagte sie mit einem Lachen in der Stimme, das ihr gelang.
    »Ich hab gar nichts geträumt«, sagte er, »aber ich hab beim Einschlafen an dich gedacht.«
    »Und?«
    »Dann konnte ich nicht mehr einschlafen.«
    »Wenigstens etwas.«
    »Sehen wir uns denn heute Abend, Holly?«, fragte er.
    »Ja«, sagte sie, »aber nur, wenn du diesmal nicht erst deinen Rückspiegel befragen musst, ob du zu mir willst.«
    »Ich komme mit dem Fahrrad«, sagte er.
    »Ich will es nicht hören«, sagte sie noch leise, aber da hatte er schon aufgelegt.

3
    Ella setzte ihre große schwarze Sonnenbrille auf und lief von der Charité zurück in ihre Wohnung. Sie schaute fast die ganze Zeit auf den Boden, doch das Muster der Pflastersteine sagte ihr nichts. Mit jedem Schritt fiel die Spannung von ihr ab. Sie fühlte sich leer und müde. Sie würde jetzt nach Hause gehen und die Wohnung heute nicht mehr verlassen.
    An einer Ampel blieb sie stehen. Eine Kreuzung. Sie ließ zwei Ampelphasen vergehen. Als sie die Straße endlich überqueren wollte, fiel ihr Blick auf einen Zettel, der an den Ampelmast geklebt war. Die altmodische Handschrift stach ihr ins Auge. Was sollte ein älterer Mensch auf einen solchen Zettel schreiben: Kaufe Elektrogeräte? Tausche Wohnung? Haben Sie meinen Kanarienvogel gefunden?
    Tausche Wohnung! Auf dem Zettel stand tatsächlich: Tausche Wohnung. Und darunter: Älterer Herr möchte seine Wohnung tauschen. 6-Zimmer-Wohnung in Charlottenburg zu tauschen gegen 2/3-Zimmer. Kein Aufpreis, keine Nebenkosten, keinerlei Avancen.
    Sie musste lachen. »Keinerlei Avancen« – wer schrieb denn so etwas? Die Annonce war mehrfach eingeschnitten, die einzelnen Telefonnummern hoben sich etwas von dem Rund des Ampelpfeilers ab. Alle noch da. Ein Wohnungstausch? Sie riss einen der Zettel ab, steckte ihn in ihre Hosentasche. Später, morgen, wenn sie wieder zu sich gekommen war, würde sie dort anrufen. Ein Wohnungstausch! Das war doch endlich mal ein Abenteuer, das nichts mit Männern zu tun hatte, jedenfalls nicht so wie sonst. Keinerlei Avancen – sie hatte es schwarz auf weiß. Außerdem wäre es ein Abenteuer, das sie ablenken würde, wenn Paul sich heute Abend erneut aus der Affäre ziehen und der erste der letzte Kuss bleiben würde.
    Beim nächsten Grün ging sie über die Kreuzung. Sie würde ihre
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher