Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
331 - Verschollen in der Zeit

331 - Verschollen in der Zeit

Titel: 331 - Verschollen in der Zeit
Autoren: Manfred Weinland
Vom Netzwerk:
schieden. Körper, die auch nach tausend und mehr Jahren noch leben können, weil ihre Zellen sich unablässig erneuern.
    Wo ich herkomme, ist die Welt perfekt.
    Wo ich jetzt gerade bin, ist sie der Vorhof dessen, was rückständige Kulturen Hölle nennen.
    Ich krümme mich unter einer neuen Schmerzwelle. Oder ist es schon der erwachende Wahnsinn, der mich schüttelt?
    Ich schreie .
    Ein letztes Aufbäumen zwingt meinen Körper, sich wider allem Schmerz zu erheben...
    ...und dann stehe ich, wanke in halber Höhe der Pyramide, die so entstellt ist wie mein Körper, entstellt wie jeder Baum, jeder Strauch, jeder Stein der Umgebung, über die steinerne Stufe und lasse meine Blicke umherstreifen. Doch alles, was ich finde, sind Risse und Spalten zwischen den Stufen, alte und ganz neue, entstanden während des Prozesses der Verformung.
    Wenn der Armreif in einer dieser Spalten verschwunden ist, die sich danach vielleicht wieder verschlossen hat, werde ich ihn niemals finden.
    Ich taumele. Falle. Merke, wie ich gegen die Stufen der Pyramide schlage, wie ich erfolglos versuche, meinen Sturz aufzuhalten. Noch bevor ich auf dem Boden aufschlage, verschlingt mich eine Schwärze, die nur der Tod sein kann.
    Den ich begrüße, weil er alle Qual erstickt. Und auch alles Hadern und Hoffen.
    ***
    Ich komme noch einmal zu mir. Etwas in mir kämpft noch immer, als hoffe es auf ein Wunder. Mein spirituelles Ich hat längst kapituliert. Doch es ist so eng verknüpft mit dem Körper, dass dessen verzweifeltes Ringen ums Weiterleben auch mir als Bewusstsein offenbar keine Wahl lässt. Ich werde leiden, solange dieser widersinnige Kampf andauert.
    Schon bevor ich die Lider hebe, ist der Schmerz wieder da mit all seinen Facetten. Dennoch scheint mein Körper während der Ohnmacht noch einmal Kräfte mobilisiert zu haben, denn diesmal schaffe ich es, mich erstaunlich rasch vom Boden zu erheben.
    Als ich aus dem zeitlosen Raum in die Wilde Welt gezerrt wurde, herrschte Nacht. Nun, bei meinem Wiedererwachen, empfängt mich Tageslicht.
    Was es nicht leichter macht.
    Die Nacht hat die Verzerrung der Landschaft lediglich erahnen lassen. Nun aber vermag ich jedes noch so kleine, erschütternde Detail zu sehen . Angefangen bei mir selbst.
    Bei mir selbst?
    Mir wird abwechselnd heiß und kalt. Mein Körper ist nicht einfach nur schwer verletzt. Er wurde von derselben schrecklichen Kraft verstümmelt, die selbst das massive Bauwerk der Pyramide in Mitleidenschaft zog.
    Mir dämmert, dass meine erste Selbstdiagnose falsch war: Die Knochen in meinem Leib sind gar nicht in dem Umfang gebrochen, den ich befürchtet habe. Sie haben sich gedehnt und fühlen sich nun falsch an.
    Mühsam kämpfe ich um mein Gleichgewicht. Ich stehe am Fuß der grotesken Pyramide. Wenn ich nach oben blicke, kann ich dem spiralartigen Verlauf einer Treppe folgen, die einmal schnurgerade verlief, hinauf zu einer Plattform, auf der Primitive ihren Ritualen frönten und ihren Göttern huldigten – nicht ahnend, dass der Eingang zu einer höheren Welt in greifbarer Nähe lag, verborgen nur hinter einer dünnen Schicht gefalteter Raumzeit.
    Während ich mich umsehe, stelle ich fest, dass sich sämtlicher Bewuchs der Umgebung nach dem Portal ausgerichtet hat. Die enormen Kräfte haben die Landschaft in einen Albtraum verwandelt, der eine nahezu hypnotische Faszination auf jeden Betrachter ausübt. Bäume, teilweise völlig kahl, ihrer Blätter beraubt, sehen aus, als wären sie aus Wachs statt aus Holz; Wachs, das von Hitze weichgemacht und von orkanartigen Winden gebogen und modelliert wurde, bis es schließlich wieder erstarrte.
    Ich versuche mich gegen die Bilder zu wappnen, die mich bestürmen, konzentriere mich auf den letzten Strohhalm, der mir noch bleibt. Ohne den Armreif werde ich die rettende Zuflucht niemals erreichen.
    Wieder sucht mein Blick die Spitze der Pyramide, und ich denke: Öffne dich! Schick mir Rettung!
    Hat denn niemand mein Verschwinden bemerkt? Oder halten sie mich für tot?
    Minuten vergehen, aber nichts geschieht.
    Ich ermahne mich, die Zeit nicht sinnlos verstreichen zu lassen. Ich brauche den Reif! Ich muss wieder die Stufen hinauf; verdreht oder nicht, sie sind begehbar. Ich muss mich zu der Stelle vorarbeiten, an der ich aus dem Tor geschleudert wurde. Irgendwo auf dem Weg dorthin muss der Armreif liegen...
    Eine Bewegung im Augenwinkel – bei einem der grotesk verformten Bäume! Ich fahre herum. Der Schwung der Bewegung lässt mich taumeln. Mit
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher