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33 Cent um ein Leben zu retten

Titel: 33 Cent um ein Leben zu retten
Autoren: Louis Jensen
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hat, zu verkaufen. Lederjacken und Pullover und Hemden. Schuhe.
    Ich habe einen gefunden, der alles kauft. Zum halben Preis, für eine Jacke zu 500 Euro bekomme ich 250.
    Ich habe zwei Kassen: Eine mit meinem eigenen Geld, also dem Taschengeld. Und eine, von der niemand etwas weiß. Das ist das Geld von dem, was ich stehle. Sie heißt die Kasse der hungrigen Kinder, KHK .
    Mit dem Lohn vom Coop gehe ich direkt zum Postamt. Direkt nach Afrika.

ROBIN HOOD
    Robin Hood hat nicht gestohlen.
    Ich habe die unterschiedlichen Ausgaben gelesen. Robin Hood nahm von den Reichen und gab den Armen. Also: nahm. Dort steht nie, er habe gestohlen. Nur in einem der Bücher steht das. Aber wenn man ganz ehrlich sein soll, so war es doch wohl das, was er tat: stehlen. Ich selbst nenne es so. Ich stehle von H&M und dem Kaufhaus Magasin und allen Boutiquen in der Fußgängerzone.
    Dass das so leicht ist, liegt daran, weil ich wie so ein richtig netter und ehrlicher Junge aussehe, glaube ich. Ich habe eine witzige Frisur, und mein Lächeln ist offen und ehrlich. Ich sehe aus wie einer, mit dem alle gern reden wollen. Und ich rede gern mit den Verkäufern. Denn natürlich kaufe ich in den Boutiquen auch etwas: ein Hemd von dem Geld aus der Diebstahlkasse. Das ist eine Investition. Aber ich behalte es nicht für mich, das Hemd, es gehört mir ja nicht, es gehört den hungrigen Kindern. Ich nehme es mit zum Hehler. So heißt derjenige, der kauft und weiterverkauft, was ich stehle.
    Ich habe das in der Schule gelernt. Erik Eriksen, der Mathelehrer, mag solche Sprüche: »Ihr müsst in eure Ausbildung investieren. Das kommt alles zurück. Ihr bekommt alles zurück. Lernt jetzt, was ihr lernen könnt, investiert in Wissen, dann bekommt ihr gute Stellen.«
    Ich glaube schon, dass Herr Eriksen recht hat, jedenfalls ein bisschen.
    Von ihm habe ich das mit den Investitionen.
    Robin Hood hat nicht gestohlen. Er nahm von den Reichen.
    Ich habe alle Ausgaben gelesen. Der Sheriff war natürlich ziemlich sauer, aber ansonsten habe ich nie gehört, dass jemand Robin Hood einen Vorwurf machte, weil er von den Reichen nahm. Im Fernsehen lief eine Serie. Da nahm er auch. Nahm von den Reichen. Die Reichen waren auch die Bösen. Niemand machte Robin einen Vorwurf.
     
    Ich brauchte lange. Erst war ich lange Zeit wütend. Ich war sauer, dass sie verhungerten. Ich sah das im Fernsehen, nicht jeden Abend, aber eigentlich mindestens zweimal pro Woche. Ich sah sie im Schatten liegen, neben einem Haus aus Lehm und Stroh oder unter einer blauen Plastikplane. Sie lagen im Sterben. Nur 33 Cent hätten gereicht, damit sie überleben.
    Meine Großmutter ist achtzig. Sie muss nicht verhungern oder an irgendeiner blöden Krankheit sterben, die sich mit einem Fingerschnipsen heilen lässt. Sie soll gar nicht sterben!
    Zuerst schickte ich mein Taschengeld. Dann meinen Lohn aus dem Coop. Aber das reichte nicht. Dann tauchte Robin Hood auf. Da fing das an, dass ich gestohlen habe, aber nicht für mich.

WIR SEHEN FERN
    »Robin Hood«, sage ich zu meinem Vater.
    Wir sehen fern. Wieder Kinder, die wie Skelette aussehen. Ein großer wackeliger Kopf. Große Augen. Er sieht es nicht, er liest Zeitung.
    »Robin Hood«, wiederhole ich. Er runzelt die Stirn, liest weiter und sagt: »Aha.« Dann sage ich nichts mehr, erst am nächsten Tag wieder. Wieder sieht man Kinder in Afrika.
    »Robin Hood«, sage ich. Und fahre fort: »Wer ist in Afrika Sheriff?«
    Er lässt die Zeitung sinken und sieht erst zu mir hin und dann zum Fernseher. Aber nun sind die Kinder weg, stattdessen ist da ein Polizist. Er steht vor einer Bank in Aalborg. Farbiges Plastikband, damit sperren sie ab, was sie Tatort nennen. Der Polizist reißt die Augen auf und sagt, der Bankräuber sei mit einer großen Summe entkommen.
    »Das ist der Sheriff«, sagt der Richter und deutet auf den Polizeibeamten.
    Meine Großmutter ist achtzig Jahre alt. Meine kleine Schwester ist zehn. Meine Mutter räumt auf. Ich habe sie nach Robin Hood gefragt. Natürlich kennt sie Robin Hood. Das tun alle. Dann sagte ich, dass er von den Reichen nahm.
    Sie nickte.
    »Er nahm von den Reichen«, wiederholte ich, »weil die Armen kein Geld hatten.«
    »Das ist schrecklich«, sagte meine Mutter, »hatten die überhaupt kein Geld?«
    »Nichts«, sagte ich. »Die hatten im Grunde nur Robin Hood. Er war ihr Retter, denn er nahm von den Reichen, und dann gab er das Geld den Armen, damit sie nicht hungerten.«
    Meine Mutter nickte, dann zog sie den
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