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31 - Und Friede auf Erden

31 - Und Friede auf Erden

Titel: 31 - Und Friede auf Erden
Autoren: Karl May
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Sie setzte sich wieder nieder, schien sich aber vergeblich zu bemühen, die frühere Stimmung zurückzurufen. Das, was sie vorher begeistert hatte, war ihr gleichgültig geworden, und da der Vater sich übelgelaunt und wortkarg zeigte, so bat sie ihn schließlich, aufzubrechen.
    „Sehr gern!“ stimmte er ihr bei. „Es ist eine drückende Hitze hier oben, und wie du es neben der qualmenden Zigarre dieses ungebildeten, rücksichtslosen Menschen aushalten konntest, habe ich mir nicht erklären können.“
    „Es ist freilich nichts so widerwärtig wie der Tabaksgeruch; für ihn aber scheint es ein Genuß zu sein; ich habe nicht darauf geachtet.“
    Dieser Ausdruck der Herzensgüte und Selbstüberwindung ließ es mich bereuen, daß ich mich nicht so verhalten hatte, wie ich nun wünschte, es getan zu haben. Später fand ich eine erfreuliche Veranlassung, mich an diese ihre jetzigen Worte lebhaft zu erinnern.
    Sie ritten fort, wie sie gekommen waren: ohne mir irgendeine Beachtung zu schenken. Der Levantiner mußte laufen, da nun nur noch die beiden Esel da waren, die er besorgt hatte. Es tat mir um der Dame willen leid, daß sie nicht länger blieben, denn die Sonne stand bereits dem Horizont nahe, und ich hätte den Anblick ihres heutigen Unterganges dem lieben, freundlichen Wesen herzlich gern gegönnt.
    Ich war seinetwegen hierhergekommen, hatte mich auf ihn gefreut und machte aber dann, als er eintrat, die Bemerkung, daß ich heut nicht fähig sei, ihn so, wie früher stets, auf mich wirken zu lassen. Die häßliche Szene, deren Zuschauer ich gewesen war, hatte mein Inneres auch überschattet. Das Vorgefallene machte es mir unmöglich, mich dem Eindruck des herrlichen Naturschauspiels frei und gänzlich hinzugeben. Der Amerikaner hatte einige Äußerungen getan, welche geistig unterzubringen oder zu überwinden ich mir erfolglos Mühe gab.
    Sooft ich mich hier auf dieser Höhe befand, sah ich zwei Welten vor mir liegen, die aber in ihrem Zusammenhang doch nur eine einzige waren, und ebenso sah ich zwei Zeiten, welche durch Jahrtausende getrennt zu sein scheinen, im jetzigen Augenblick zu einer wunderbaren, ergreifenden Vereinigung zusammenfließen. Die Gegenwart ist unsere Vergangenheit gewesen und wird auch unsere Zukunft sein. Wer das begreift, der hat nicht nötig, das Innere der Pyramiden zu durchforschen, und braucht auch nicht vor den Rätseln der Sphinx zu bangen, deren Lösung er klar und deutlich in seinem Herzen trägt. Die Menschheit gleicht der Zeit. Beide schreiten unaufhaltsam vorwärts, und wie keiner einzelnen Stunde ein besonderer Vorzug gegeben worden ist, so kann auch kein Mensch, kein Stand, kein Volk sich rühmen, von Gott mit irgendeiner speziellen Auszeichnung begnadet worden zu sein. Eine hervorragende Periode ist nur das Produkt vorangegangener Zeiten, und es gibt in der Entwicklung des Menschengeschlechtes keine Geistesrichtung oder Geistestat, welche aus sich selbst heraus entstanden wäre und der Vergangenheit nicht Dank zu zollen hätte. Die Weltgeschichte, welche wir ja das Weltgericht nennen, hat bisher noch jedes Kapitel der Selbstüberhebung mit einem bestrafenden Schluß versehen und diesen Akt der Gerechtigkeit zur Warnung für spätere Generationen in der ernsten, eindringlichen Sprache der Ruinen aufbewahrt. Und diese sprechenden, ja predigenden Ruinen haben uns die Lehre zu erteilen, daß, was im Orient für uns gestorben ist, im Abendland für ihn wieder auferstehen soll.
    Das war ganz derselbe Gedanke, dem die Tochter des Amerikaners nur einen andern Ausdruck gegeben hatte, als sie von dem schlafenden Prinzen sprach, welchen eine abendländische Jungfrau aufzuwecken habe. Und wie einverstanden war ich mit ihrer Frage: „Was bringe ich mit?“ Wollen wir ehrlich sein, so müssen wir zugestehen: Wer nach dem Morgenland kommt, der will ihm nicht etwa dankbar sein, sondern noch mehr, immer mehr von ihm haben, als er schon von ihm bekommen hat. Der Osten hat gegeben, solange und soviel er geben konnte. Wir haben uns an ihm bereichert fort und fort; er ist der Vater, der für und an uns arm geworden ist. Denken wir doch endlich nun an unsere Pflicht!
    Wir ahnen gar nicht, welche geistigen Summen wir ihm schuldig sind. Wir werden sie ihm, und zwar mit Zinsen, zurückzahlen müssen, gleichviel, ob wir wollen oder nicht. Die Vorsehung ist gerecht. Sie gibt Kredit, doch nicht für ungezählte Generationen oder gar für Ewigkeiten, und wird weder die Bakschischgaben zudringlicher
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