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31 - Und Friede auf Erden

31 - Und Friede auf Erden

Titel: 31 - Und Friede auf Erden
Autoren: Karl May
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Ägypten gekommen, um einige Zeit hierzubleiben und sich dann zunächst Indien anzusehen. Große Eile schienen sie nicht zu haben.
    Sie kannten die Wirkung des Khamsin noch nicht und waren trotz desselben gleich nach ihrer Ankunft hier herauf geritten, weil Mary gewünscht hatte, zunächst das Gesamtbild von Kairo vor sich zu sehen. Und der Eindruck desselben war, wenigstens bei der Tochter, ein so tiefer, daß der ermattende Wind auf sie ohne sichtbare Wirkung blieb.
    Sie hatte die entfaltete Karte auf ihrem Schoß liegen, ohne aber zunächst nach speziellen Punkten zu suchen. Es schien ihr vor allen Dingen um den Totaleindruck zu tun zu sein. Dabei machte sie dann und wann eine Bemerkung, die mich aufhorchen ließ. In diesem Mädchen schien ein seltsames, ungewöhnlich reiches Seelenleben zu pulsieren! Einmal hätte ich beinahe verraten, daß ich ihr aufmerksam zuhörte. Sie nannte nämlich meinen Namen.
    „Weißt du, Vater, an wen ich jetzt denke?“ sagte sie. „An Karl May. Ich habe seine drei Bände ‚Im Lande des Mahdi‘ gelesen, und – – –“
    „Lies nicht das dumme Zeug von diesem May!“ unterbrach er sie rasch und schnarrend. „Dieser Schriftsteller hat nichts als Phantasie, und du weißt, daß mir seine weichliche Frömmigkeit widerwärtig ist! Wie kommst du dazu, grad jetzt an ihn zu denken?“
    „Er nennt Kairo ‚Bauwaabe el bilad esch schark, das Tor des Orients‘, und sagt, dieses Tor sei altersschwach geworden und könne dem Einfluß des Abendlandes kaum mehr widerstehen. Es wird mir schwer, das zu glauben. Ich habe den Orient noch nicht gesehen, aber ich liebe ihn und wünsche, daß er sich stärker erweisen möge als zum Beispiel du, Vater, mit so vielen anderen denkst. Er ist für mich ein schlafender Prinz im stehengebliebenen Saal einer eingefallenen, morgenländischen Königsburg. Seine Bestimmung ist, von einer abendländischen Jungfrau aufgeweckt zu werden. Wenn dann durch beide der Osten mit dem Westen in selbstloser Liebe vereinigt ist, werden alle Völker der Erde glücklich sein.“
    „Du bist eine Träumerin, ganz wie deine Mutter war! Die Wirklichkeit aber sieht ganz anders aus als so ein Märchentraum. Das Morgenland hat uns um das Paradies gebracht; es hat den Erlöser gekreuzigt und bis auf den heutigen Tag niemals erkennen wollen, was zu seinem Frieden dient. Nun kommen wir, die Himmelsboten, ihm diesen Frieden zu bringen. Nimmt es ihn an, so soll es ihn haben; stößt es ihn aber von sich, so wird es trotz aller unserer Mühe nicht zu retten sein. Schau doch hinab und sieh, was zu deinen Füßen liegt! Alles, was da noch orientalischen Ursprungs ist, steht im Begriff, im Schmutz zu versinken. Alles Neue, Praktische und Gute aber hat diese Stadt vom Abendland bekommen. Dein Karl May, von dem ich sonst nichts wissen will, hat also in diesem einen Fall ausnahmsweise einmal das Richtige gesagt. Ist der Orient der Märchenprinz, von dem du sprachst, so ist es nur uns Sendboten möglich, ihn aus dem Schlaf aufzuwecken. Nur wir allein können ihn erlösen; wir fußen in und auf der Wirklichkeit; deine abendländische Jungfrau aber gehört ins Reich der Phantasie.“
    „Phantasie! Das ist vielleicht das richtige Wort“, lächelte sie. „Es gibt Leute, welche behaupten, daß die Phantasie hellere und schärfere Augen habe als der alterssichtig gewordene Verstand.“
    „Willst du mich belehren?“
    „Nein. Dazu bist du mir ja viel, viel zu gelehrt. Aber weißt du, wir klopfen heut beide an das Tor des Orients, und wenn man irgendwo anklopft, soll man sich nicht nur fragen ‚Was willst du hier?‘ sondern auch ‚Was bringst du mit?‘. Denn ob man das, was man will, erreichen wird, das ist wahrscheinlich sehr von dem abhängig, was man mitbringt. Und mitbringen muß und wird jeder etwas, und wenn es nichts weiter als seine Persönlichkeit wäre. Fragen wir uns also heut, indem wir an diese Pforte klopfen, was wir für die, welche hinter ihr wohnen, mitbringen!“
    „Well, mein Kind! Ich bringe ihnen meinen Glauben. Das ist mehr als genug!“
    „Und ich bringe ihnen meine Liebe, meine ganze, ganze, volle Liebe! Ob das genug ist, weiß ich nicht; aber ich besitze ja nichts weiter, was ich geben kann. Und diese Liebe gebe ich so gern, so unendlich gern. Was habe ich gewünscht! Wie habe ich geträumt, gehofft, geschwärmt! Mein Herz ist mir nach hier vorausgeflogen. Es ist mir, als sei mein bisheriges Leben eine Weissagung gewesen, welche von heute an beginne, in
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