Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
31 - Und Friede auf Erden

31 - Und Friede auf Erden

Titel: 31 - Und Friede auf Erden
Autoren: Karl May
Vom Netzwerk:
verflucht zu werden, dann ist die Stunde da, in der das Paradies zum Himmelreich wird, zum Reich Gottes hier auf dieser Erde!‘ So sprach die ‚Shen‘. Nun nehmt den Vorhang weg! Ihr sollt nicht nur das Paradies, nein, auch den Himmel sehen; denn jene ferne Stunde, von welcher meine Sage sprach, ist keine andere als die jetzige!“
    Welch eine Lautlosigkeit im Saal jetzt! Nur von hinten her klang es wie ein Räuspern. Ich schaute hin. Da stand der Sejjid, hinter Pflanzen, und zwar so, als ob er von irgend jemand nicht gesehen sein wolle. Er hatte sich aber dennoch geräuspert, um meine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Er bemerkte, daß ich zu ihm herschaute. Da deutete er nach der Seite und hob den Finger, um mich zu bitten, aufmerksam zu sein. Natürlich wußte ich sogleich, woran ich war; Dilke hatte sich viel eher in das Castle geschlichen, als wir vermutet hatten, und der Sejjid war ihm so heimlich gefolgt, daß weder der eine noch der andere von irgend jemand gesehen worden war. Dem ersteren kam es darauf an, seinen Oheim zu entdecken. Er kam an der offenstehenden, hinteren Tür des Gemäldesaales vorüber, schaute herein und sah ihn da sitzen, sogar mit seiner Tochter, der Cousine. Da schlich er sich im Schutz der Orangerie herein, um zu erfahren, was es hier gebe. Hinter ihm war der Sejjid hereingekommen, sehr leise, von ihm unbeachtet. Sie beide waren es, die ich schon vorhin bemerkt hatte, ohne zu wissen, wer sie seien.
    Während ich diese Bemerkungen machte, ließ der Reverend den Vorhang sich von dem zweiten Gemälde entfernen, und Waller rief, sich an die Gruppe der Buddhisten wendend, dem Oberpriester zu:
    „Komm her zu mir, Ho-Schang! Ich sage dir, daß ich ein Priester bin. Heut soll das Zeichen in Erfüllung gehen, das unsere ‚Shen‘ dem Menschengeist sagte: Ich will dich segnen, ich, der Christ, den Heiden! Auf diesem Bild hier ist nur der Weg zum Paradies zu sehen; ich aber zeige euch das Himmelreich, das höher steht als alle Erdenparadiese. Ich wiederhole es: Komm her zu mir, Ho-Schang, daß ich dich segne!“
    Der Angeredete kam auch wirklich näher, Schritt um Schritt, fast wie im Traum; denn was er hier sah und was er hier hörte, das war, als ob es irgendwo anders geschähe, nicht hier in diesem Leben.
    „Ich bin bereits gesegnet“, sagte er.
    „Von wem?“ fragte Waller.
    „Von Heartman, dem Reverend, vorhin, als er uns unten am Flammenbild der ‚Shen‘ begrüßte. Da segnete er mich wohl mehr als zu dreien Malen!“
    „Also war das Himmelreich schon da, schon hier, noch ehe ich es wußte, und es ist mir darum leicht begreiflich, daß ich nun plötzlich benedeien will, wo ich, der frühere Eiferer, nur maledeien konnte. Doch immer komm! Ich segne dich trotzdem, nicht um etwas zu erfüllen, was schon erfüllt worden ist, sondern wegen – – – meiner selbst!“
    Schon streckte er seine beiden Hände aus, da erklang von hinten her eine laute, zornige Stimme:
    „Halt ein, Abtrünniger! Du willst segnen, wo Elias einst ohne alle Gnade schlachtete! Bist du toll – – –? Verrückt geworden – – –? Apostat – – –? Dann gehst du ein zur Hölle – – – unbedingt!“
    Es war Dilke. Er schritt heran, hoch aufgerichtet, stolz, den Kopf im Nacken, mit zusammengekniffenen Lippen und funkelnden Drohaugen, wie einer, der sich naht, um schreckliches Gericht zu halten! Ohne daß er es merkte, folgte ihm der Sejjid, der ihn nicht aus dem Auge ließ, um bei vorkommender Ursache schnell bei der Hand zu sein. Wie sah dieser Dilke aus! Genau wie das verkörperte Gegenteil von seinen hochtrabenden Worten! Er kam nicht ganz heran. Wohl über zehn Schritt von Waller entfernt, blieb er stehen und sagte, indem er eine verächtliche, wegwerfende Handbewegung machte:
    „Da liegt es nun, das ganze, ganze Christentum der Wallerschen Familie! Eine Schande für alle, die sich die Mühe gaben, es zu errichten, und dann im Stolz auf dies ihr Werk als Heilige sich in die Grube legten! Ich schaue hin und schäme mich des Namens, den ich trage. Dieses Angesicht, das hier vor mir – – – mir – – – mir – – –“
    Das Wort erstarb ihm auf den Lippen, langsam, immer schwächer werdend. Von dem Hintergrund des Saales aus hatte er seinen Oheim nur von weitem gesehen. Jetzt richtete er sein Auge aus der Nähe auf ihn, und da war es, als ob ihm bei diesem Anblick die Sprache verlorengehen wolle und mit ihr noch vieles, vieles andere. Sein Gesicht veränderte
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher