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30 Sekunden Verzögerung

30 Sekunden Verzögerung

Titel: 30 Sekunden Verzögerung
Autoren: Robert Moore Williams
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beobachtet hatte. Noch während die Worte erregt zwischen ihnen hin und hergingen, erschien das Gesicht wieder in der Mitte des Raumes. Es war, das erkannte Zen jetzt, das Gesicht eines Erwachsenen, der sich mit schnellen Blicken in der Halle umsah. Nach einem zufriedenen Nicken löste sich das Gesicht auf und verschwand.
    Zur Linken Zens wurde gleichzeitig ein Mädchen unsichtbar. Sie verschwand so schnell, daß Zen dem Vorgang kaum zu folgen vermochte. Ein junger Mann, der zwei Schritte neben ihr gestanden hatte, folgte ihr in die Unsichtbarkeit.
    Der Leutnant fuhr herum und bemerkte die Veränderung. Wieder begann er zu zählen.
    „Sechsundreißig!“ murmelte er, zwischen Unglauben und Wut schwankend. „Wer hat sich verdrückt, während ich ihm den Rücken wandte?“
    Er hatte die Frage kaum gestellt, als hinter ihm drei Gestalten verschwanden. Wieder fuhr er herum, sah die erneut gelichtete Reihe.
    Zen mußte sich auf die Lippen beißen, um die Aufmerksamkeit des Leutnants nicht durch ein Lachen auf sich zu lenken. Es bereitete ihm höllisches Vergnügen, einen asiatischen Offizier zu beobachten, der langsam an seinem Verstand zu zweifeln begann. Die Blicke des Leutnants richteten sich auf einen der Gefangenen, als wollte er ihn hypnotisieren. Der Mann hielt dem Blick gelassen stand, aber zwei Schritte neben ihm war plötzlich wieder ein leerer Platz, wo eben noch ein Gefangener gestanden hatte.
    Zens Zunge fuhr über die trockenen Lippen. Er wußte, was den Leutnant erwartete, wenn Cuso zurückkehrte. Auch der Leutnant schien sich über die Folgen des Verschwindens der Gefangenen klar zu sein. Aber er war machtlos. Sobald er einem Teil der Gefangenen den Rücken kehrte, lichteten sich die Reihen auf unerklärliche Weise. Wieder und wieder tauchte das Gesicht im Raum auf. Es schwebte dicht über dem Kopf des Leutnants, drehte und wendete sich mit ihm und verschwand, sobald der Leutnant mißtrauisch in die Höhe blickte. Es war Zen klar, daß dieses Gesicht das Verschwinden der Gefangenen dirigierte. Zugleich mit dem Verschwinden einer Gestalt stellte sich der helle, leise Ton ein, der jetzt fast klang, als käme er von einer alten Geige.
    Zen fühlte, wie Schweiß sein Gesicht überströmte und von seinem Kinn auf die Brust tropfte. Er hatte keine Erklärung für die Dinge, die um ihn geschahen, und er fühlte, wie seine Gedanken sich zu verwirren begannen, bis seine Nerven bis zum Zerreißen gespannt waren. Panik drohte ihn zu überwältigen, aber er wußte, daß eine unbeherrschte Bewegung sein Todesurteil bedeuten konnte. So blieb er steif und starr an seinem Platz, nicht einmal ein Muskel in seinem Gesicht bewegte sich.
    Würde die geheimnisvolle Macht auch ihn unsichtbar machen? Wohin würde sie ihn führen? Gab es das überhaupt, daß Wesen von Fleisch und Blut sich auflösen konnten, als wären sie nie vorhanden gewesen?
    Nur Nedra und er waren noch übriggeblieben, alle anderen waren der unheimlichen Magie gefolgt, die sie der Gewalt der Asiaten entzog.
    Der Leutnant schien dem Wahnsinn nahe zu sein. Schaum stand vor seinem Mund, als er heisere Worte in Chinesisch und Englisch vor sich hinstammelte. Wie ein Rasender lief er umher und blieb vor Nedra stehen, die Mündung seiner Waffe auf ihre Brust gerichtet.
    „Tse! Wo sind die anderen geblieben?
    Noten. Wohin sind sie verschwunden? Ich verlange eine Antwort! Sprich!“
    „Ich weiß es nicht“, sagte das Mädchen mit klarer Stimme und hob die Schultern.
    „Du sollst sprechen! Cuso schlägt mir den Kopf ab, wenn er sieht, was geschehen ist.“
    „Ich habe Ihnen gesagt …“, begann das Mädchen, aber der Leutnant bohrte ihr den Gewehrlauf in den Magen.
    „Wenn du auch verschwindest, töte ich dich!“ Seine Miene ließ keinen Zweifel, daß er seine Drohung ernst meinte.
    Nedra lächelte ihm zu – und verschwand.
    Der Finger des Asiaten krümmte sich zweimal um den Abzug. Donnernd hallten die Schüsse durch das Gewölbe, klatschend schlugen die Kugeln in den Fels. Zen ließ sich blitzschnell zu Boden gleiten. Er hatte schon mehr Asiaten Amok laufen sehen und wußte, daß ein Mann in diesem Geisteszustand nicht der Vernunft zugänglich war.
    Der Leutnant schoß wild um sich, bis das Magazin leer war. Er schob neue Patronen in die Kammer und schien dabei zur Besinnung zu kommen. Die Kugel, mit der Zen gerechnet hatte, blieb im Lauf. Aber die Mündung der Waffe, noch heiß und rauchend, preßte sich in seinen Magen und zwang ihn, sich zu
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