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296 - Totes Land

296 - Totes Land

Titel: 296 - Totes Land
Autoren: Oliver Fröhlich
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Als er den Kopf hob, um sich umzusehen, hatte er das Gefühl, ein rostiges Sägeblatt würde sich langsam durch seinen Schädel fressen. Er ächzte und ließ den Kopf zurück aufs Kissen sinken.
    Über die Fußspitzen hinweg entdeckte er ein Fenster, vor dem eine schwere Decke hing, die jegliches Licht aussperrte. Der düstere Schein im Inneren der Hütte stammte von einer flackernden Laterne auf einem Tisch in der anderen Ecke.
    Die Frau, die auf einem Stuhl neben dem Bett saß, musterte ihn neugierig und leckte sich die Lippen. Ihre dunklen Augen lagen tief in den Höhlen, die Wangen waren eingefallen. Die bleiche Gesichtshaut wirkte bei den miserablen Lichtverhältnissen gelblich und krank.
    Für Matt gab es keinen Zweifel: Neben ihm saß eine Nosfera. Eine Blutsaugerin.
    ***
    Gegenwart
    Matt ächzte. Mit der Wange lag er auf dem Boden vor dem Tschernobyl-Reaktor. Speichel rann ihm aus dem Mund. Blutiger Speichel!
    Sein Kopf dröhnte wegen der Strahlung und der sich überschlagenden Gedanken.
    An das Erwachen in der Nosfera-Hütte hatte er sich bereits zuvor erinnert. Aber etwas stimmte daran nicht! Doch was? Immer wenn er danach greifen wollte, entglitt es ihm wie ein glitschiger Fisch.
    Streng dich an, Drax! Denk nach!
    Warum? Es ist ohnehin bald alles zu Ende.
    Und als er den Gedanken losließ, als er nicht mehr krampfhaft nach dem Fehler suchte, sah er ihn plötzlich klar vor sich.
    Die zeitliche Abfolge!
    Das Erwachen im Wohnblock von Prypt - der Flohbiss nach dem Fluchtversuch - der Gang zum Rat der Liquidatoren und deren Urteil - der Marsch in den Wald zur Dekontamination - der fleischfressende Baum, das betäubende Moosfeld - das Erwachen in der Nosfera-Hütte.
    Wie passte in diese lückenlose Kette die Erinnerung an die Hinrichtung auf dem Volksfestplatz? Wann war sie geschehen? Wann?
    Er hörte ein Ächzen. Rulfan sank neben ihm in die Knie und erbrach sich.
    Rulfan! Wie konnte er noch leben? Matt erinnerte sich, dass ein Tempelwächter ihn erschossen hatte. Und dass eine fleischfressende Blüte ihn verspeist hatte. Wie konnte das sein? Wie war beides zugleich möglich? Oder besser: Wie war auch nur eines davon möglich, wenn er ihn doch neben sich knien sah?
    Plötzlich sank er in die Vergangenheit. Zurück in die Nosfera-Hütte. Doch etwas hatte sich verändert. Das war nicht mehr die Szene, der er sich entsann.
    ***
    Einige Stunden zuvor
    Für Matt gab es keinen Zweifel: Neben ihm saß eine Nosfera. Eine Blutsaugerin.
    Sie antwortete nicht auf seine Frage.
    Trotz des Sägeblatts im Kopf wollte er sich aufsetzen, doch es gelang nicht. Über Brust, Arme, Hüfte und Beine spannten sich Seile, die ihn ans Bett fesselten.
    »Was soll das?«
    Die Nosfera schwieg weiterhin.
    Hinter ihr öffnete sich eine Tür und ein hagerer Mann betrat den Raum. Das spärliche graue Haar stand ihm wirr vom Schädel ab. Es war nicht annähernd dicht genug, um die dunklen Flecken auf der Kopfhaut zu verbergen. Die Augenringe waren so groß, dass die MYRIAL II in ihnen hätte landen können. Er entblößte schiefe gelbe Zähne, als er Matt hinterhältig anlächelte.
    »Wo bin ich?«, versuchte der Mann aus der Vergangenheit es bei dem Neuankömmling. »Warum haben Sie mich gefesselt?«
    »Onda!«, sagte der Nosfera.
    Seine Artgenossin sprang auf und eilte zu ihm. Einige Minuten redete er in einer für Matt unverständlichen Sprache auf die Frau ein. Sie schüttelte den Kopf, zeigte auf ihren Gefangenen und antwortete mit einem ähnlichen Kauderwelsch-Wortschwall. Zusätzlich dokumentierte sie ihre erkennbar schlechte Laune mit gelegentlichen Fauchlauten.
    Während des Gesprächs warfen sie Matt immer wieder Blicke zu, wie Löwen, die ihre Beute umkreisten. Diskutierten sie darüber, ob sie ihn gleich oder erst zum Abendessen aussaugen sollten?
    Wie hatte man das in seiner amerikanischen Heimat genannt? Heraus aus der Bratpfanne und mitten hinein ins Feuer. In dieser Situation eine nur allzu treffende Redewendung.
    »Können Sie mich verstehen?«, versuchte Matt es erneut. »Warum binden Sie mich nicht los und wir reden über alles? Ich bin nicht Ihr Feind! Sie haben nichts von mir zu befürchten.«
    Abgesehen von geringschätzigen Blicken erntete er keine Reaktion.
    »Ich weiß nicht, was Sie mit mir vorhaben. Aber Sie sollten wissen, dass ich ein Freund von Erzvater bin! Die Moskauer Nosfera sehen in mir den Sohn der Finsternis, den Gott Murrnau ihnen geschickt hat.« Dass diese Darstellung längst überholt war, verschwieg
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