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292 - Chimären

292 - Chimären

Titel: 292 - Chimären
Autoren: Christian Schwarz
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dass Chan, verstärkt durch seine Aufregung, würgen musste. Er drehte sich und hielt sich an einer massiven Mauer, weil er das Gefühl hatte, sich gleich übergeben zu müssen. In diesem Moment wurde er unsanft angerempelt.
    »He, du Weichling! Du warst wohl noch nie bei 'ner Hinrichtung, was? Wenn du's nicht verträgst, dann bleib doch weg. Und kotz mir nicht vor die Füße, verstanden? Sonst werd ich sauer.«
    Chan bezwang sich mit eisernem Willen und drehte sich um. Ein zerlumpter Einbeiniger, der sich auf eine Krücke stützte, grinste ihn aus einem zahnlosen Mund, aus dem es wie aus einer Kloake stank, an. Der Agarther drängte sich weg von ihm und etwas weiter in die Menge hinein. Jetzt erst konnte er seine Blicke intensiver schweifen lassen.
    Große, prächtige, bunte Paläste mit mehreren Säulenreihen übereinander säumten den Platz. Direkt vor ihm schraubte sich ein mächtiger viereckiger Turm, der von einem grünen Dach gekrönt wurde, in die Höhe.
    Chan wusste genau, dass dies der Markusplatz in Venedig war und dass er sich im Jahre 1260 befand, ohne dass er hätte sagen können, woher dieses Wissen kam. Er schaute zu der sengenden Sonne empor, die ihm starkes Unbehagen bereitete. Die Strahlen taten ihm fast körperlich weh auf seiner zarten weißen Haut, innerhalb kurzer Zeit schwitzte er am ganzen Körper.
    »Bringt die Hexe endlich! Verbrennt sie!«, hörte er laute, schrille Rufe und wunderte sich erst jetzt bewusst, dass er ja auch die Sprache verstand.
    Buddha, wo bin ich hier? Aber es ist interessant…
    Vom blauen Meer her, das gleich hinter dem Markusplatz begann, näherte sich, von vier Ruderern bewegt, ein großes Boot, auf dem ein hölzerner Käfig stand. Über Schultern und Köpfe hinweg konnte Chan es erkennen. Zwei junge, am ganzen Körper geschundene Frauen waren darin festgebunden. Eine hielt sich mühsam aufrecht, die andere war zusammengesunken.
    Nach weiteren Minuten elender Schaukelei legte das Boot am Dogenpalast an. Knechte hievten den Käfig vom Boot und verluden ihn auf einen Ochsenkarren, der sich gleich darauf, von betenden Mönchen umgeben, zur Mitte des Platzes hin in Bewegung setzte. Soldaten, Bürger, Bauern, Tagelöhner und Vornehme schlossen sich dem Karren an und hielten sich dabei einträchtig an Waffen, Holzkreuzen und Heiligenfiguren fest. Ein Gaukler schoss kreuz und quer durch die Menschenmenge, spuckte Feuer, erschreckte die Frauen und Kinder und verpasste Chan den zweiten Rempler des Tages. Der Agarther sah Frauen, die sich Besen zwischen die Schenkel klemmten, andere tanzten auf Stecken daher.
    Vor der prächtigen Kulisse der Markuskirche erhoben sich drei große Scheiterhaufen. Chan schluckte, als ihm endgültig klarwurde, was hier gleich passieren würde, vor allem, als er den danebenstehenden Henker mit der roten Kapuze und dem in der Sonne blitzenden Richtbeil mit der halbrunden Klinge sah.
    Sein Unterleib zog sich schmerzhaft zusammen. Er verspürte Erregung, wollte den Tod der beiden Hexen unbedingt sehen. In allen Details. Rücksichtslos drängte er sich ganz nach vorne.
    Die Kirchenglocken begannen zu läuten. Die Frauen wurden vom Wagen gezerrt und auf einen Richtblock gelegt. Das Beil sauste gleich darauf unter dem geilen Stöhnen der Menge herunter. Ein blond gelockter Kopf rollte Chan direkt vor die Füße, berührte sie. Erschrocken machte er einen Schritt nach hinten und flüchtete.
    Etwas, von dem er nicht zu sagen vermochte, was es war, zog ihn in den prachtvollen Innenhof des Palazzo Ducale. Hier stieß er auf Männer und Frauen in prachtvollen, bodenlangen Gewändern, die zum Teil verschwenderisch verzierte Masken trugen und zu seltsamer Musik miteinander tanzten. Manche taten sogar deutlich mehr. Was dabei unter schamlos gehobenen Röcken zum Vorschein kam, trieb Chan die Röte ins Gesicht. Er sah trotzdem nicht weg.
    Vor einem großen Brunnen stoppte Chan, als sei er gegen eine Wand gelaufen. Vor ihm stand - ein Gemälde. Die schönste Frau, die er jemals gesehen hatte. Lange schwarze Locken, große traurige Augen, ein verlorenes Lächeln um den fein geschwungenen, sinnlichen Mund, prächtige Kleider wie die anderen Tänzer hier. Chan fühlte sich vom ersten Moment an stark zu der Schönen hingezogen.
    »Wer bist du?«, fragte er.
    »Ich bin Francesca. Francesca Totti. Und wer seid Ihr, Fremder?«
    »Ich heiße Chan und komme aus einem fernen Land.«
    Sie trat näher und schaute ihm direkt in die Augen. Ihr Geruch aus Parfüm und leichtem
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