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27 - Im Lande des Mahdi I

27 - Im Lande des Mahdi I

Titel: 27 - Im Lande des Mahdi I
Autoren: Karl May
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tun? Wie die Sache lag, ging sie mich nichts an; ich sagte mir vielmehr im stillen, daß das Schicksal der Getöteten wohl von heilsamer Wirkung auf die andern Gefangenen sein werde. Ich ging also zu Ben Nil hinüber, gab ihm sein Messer zurück und sagte:
    „Ich lege die Entscheidung, ob ihr schuldig seid, in Allahs Hand; er mag euch richten; ich habe kein Recht dazu.“
    Da erhoben die Frauen ihre jubelnden Stimmen; der Gefangene aber, welcher vorhin der Unterhändler gemacht hatte, rief mir zornig zu:
    „Das ist Untreue und Verrat, Effendi! Du hast uns versprochen, uns nicht zu töten, sondern dem Raïs Effendina auszuliefern. Dieses Mädchen hat einen Doppelmord begangen, und der Knabe ist ihr dazu behilflich gewesen. Ich verlange, daß sie beide bestraft werden. Leben um Leben; Blut um Blut; das ist das Gesetz der Wüste. Da ihr euch auf dasselbe beruft, müssen wir es auch für uns in Anspruch nehmen!“
    „Du schweigst!“ gebot ich ihm. „So weit es in meinen Kräften steht, werde ich mein Wort halten. Was hinter meinem Rücken und gegen meinen Willen geschieht, das habe ich nicht zu verantworten. Ben Kasawi und der andere haben Marba geschlagen; sie wollten Ben Nil töten, durch einen vergifteten Pfeil umbringen; das Gesetz der Wüste bestimmt für beides den Tod; dieser ist erfolgt, und also ist der Gerechtigkeit voll Genüge geschehen. Übrigens will ich mich herbeilassen, die Anforderungen eures Glaubens zu berücksichtigen. Man begrabe die Toten im Sand, in sitzender Stellung, und mit dem Gesicht nach Mekka gerichtet. Die vorgeschriebenen Suren mag der Onbaschi beten.“
    Jetzt hatte der Lieutenant noch weniger Mut als früher, den Transport der Frauen auf sich allein zu nehmen. Er fürchtete, daß die Beduininnen auch den Tod der andern Gefangenen fordern würden, und fühlte sich einer Empörung dieser ‚Teufelinnen‘, wie er sie nannte, gegenüber zu schwach. Es gelang mir aber, ihn zu beruhigen.
    Darauf gebot ich Ben Nil, unsere Kamele, welche noch unten bei denen der Sklavenjäger lagen, zu satteln. Selim wollte mit uns reiten, doch schlug ich ihm diese Bitte ab. Ich hatte gestern mein Fernrohr oben im Lager zurückgelassen und stieg hinauf, um es mir zu holen. Ohne daß ich eigentlich eine wirkliche Veranlassung dazu hatte, zog ich das Rohr aus, um nach der Richtung zu sehen, in welcher der Mokkadem und der Muza'bir fortgegangen waren. Drüben gegen Südwest glänzte etwas; es war ein weißer Punkt, auf welchen die Sonne schien, vielleicht eine ausgetrocknete, natronsumpfige Stelle. Ich schenkte derselben weiter keine Beachtung und stieg wieder hinab.
    Während des Abstieges hatte ich das Wadi bis zu der Krümmung, hinter welcher ich gestern mit Ben Nil die Sklavenjäger angelockt hatte, vor mir liegen. Mein Blick fiel dort hinüber, und da sah ich zu meinem Erstaunen zwei Kamelreiter, welche um die Ecke bogen und, unser Lager erblickend, schnell wieder hinter den Felsen zurückwichen. Ich blieb stehen und richtete das Rohr nach der Stelle. Nach einigen Augenblicken erschien ein Mann zu Fuß, sich eng an den Felsen drückend, damit er nicht gesehen werde, und sehr aufmerksam zu uns herüberschauend. Ich hätte ihn schon an seinem reichen, goldgestickten Anzug erkannt, auch ohne sein Gesicht so deutlich vor mir im Glas zu haben. Welch eine Überraschung; es war der Raïs Effendina!
    Er war an die tausend Schritt entfernt und hätte meinen Ruf nicht hören können. Darum eilte ich vollends hinab und auf die Stelle zu, an welcher er sich befand. Er sah mich kommen, erkannte mich und trat vor.
    „Effendi, das ist gut!“ rief er mir zu. „Ich glaubte schon die Sklavenjäger vor mir zu haben.“
    „Das ist auch der Fall“, antwortete ich, indem ich ihm die Hand bot, denn ich hatte ihn erreicht. „Wir haben sie gefangengenommen.“
    „Und die Sklavinnen?“
    „Sind dabei, sie sind frei.“
    „Allah 'l Allah! Effendi, ich erstaune; ich bin im höchsten Grad verwundert! Wie hast du das angefangen? Wo hat der Lieutenant dich getroffen?“
    „In Korosko.“
    „Ich dachte es; ich schickte ihn dahin. Also so weit dort unten. Wie konntest du da den Weg der Räuber entdecken?“
    „Das werde ich dir erzählen. Aber du bist jedenfalls nicht allein gekommen. Wo sind denn deine Leute?“
    „Hier hinter dem Felsen. Ich ritt voran und sah das Lager. Da ich glaubte, die Räuber vor mir zu haben, wich ich schnell zurück und stieg vom Kamel, um heimlich zu beobachten. Da kamst du gelaufen.“
    „Ich
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