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2666

2666

Titel: 2666
Autoren: Roberto Bolaño
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dass in letzter Zeit die kurzen, runden Prosaformen (es werden Titel wie Bartleby von Melville oder Die Verwandlung von Kafka genannt) zu Ungunsten der umfangreicheren, ambitionierteren und gewagteren Romane dieser Autoren ( Moby Dick, Der Prozess ) stetig an Prestige gewinnen. »Trauriges Paradox, dachte Amalfitano. Nicht einmal die belesenen Apotheker wagen sich mehr an die großen, die unvollkommenen, die überschäumenden Werke, die Schneisen ins Unbekannte schlagen. Sie geben den perfekten Fingerübungen der großen Meister den Vorzug. Anders gesagt: Sie wollen die großen Meister bei eleganten Fechtübungen beobachten, aber nichts wissen von den wahren Kämpfen, in denen die großen Meister gegen jenes Etwas kämpfen, das uns allen Angst einjagt, jenes Etwas, das gefährlich die Hörner senkt, und es gibt Blutvergießen, tödliche Wunden und Gestank.«
    Und schließlich ist da der Titel. Diese geheimnisvolle Zahl - 2666 tatsächlich eine Jahreszahl -, die einen Fluchtpunkt darstellt, an dem die verschiedenen Teile des Romans sich ausrichten. Ohne ihn bliebe der perspektivische Zusammenhang unvollständig, unerschlossen und hinge in der Luft.
    In einer seiner zahlreichen Notizen zu 2666 verweist Bolaño auf die Existenz eines »verborgenen Zentrums« im Roman, eines, das sich unter dem verberge, was man gewissermaßen als sein »physisches Zentrum« ansehen kann. Man darf wohl annehmen, dass es sich bei diesem physischen Zentrum um die Stadt Santa Teresa handelt, getreues Abbild von Ciudad Juárez an der Grenze zwischen Mexiko und den Vereinigten Staaten. Hier laufen letztlich alle fünf Teile des Romans zusammen; hier ereignen sich die Verbrechen, die seine erschütternde Hintergrundkulisse bilden (und von denen eine Figur im Roman sagt, dass »in ihnen das Geheimnis der Welt verborgen« liege). Was das »verborgene Zentrum« betrifft ... Sollte nicht eben jenes Datum es bezeichnen, 2666, das den gesamten Roman überspannt?
    Mit der Arbeit an 2666 hat Bolaño die letzten Jahre seines Lebens verbracht. Aber Konzeption und Entwurf des Romans reichen sehr viel weiter zurück, und rückblickend lassen sich vereinzelte Anklänge in mehreren seiner Bücher finden, insbesondere in denen, die nach Abschluss der Wilden Detektive (1998) erschienen sind, einem Roman, der nicht zufällig in der Wüste von Sonora endet. Man wird diese verschiedenen Anklänge zu gegebener Zeit genauer verfolgen. Für den Moment mag es genügen, auf eine beziehungsreiche Stelle in dem 1999 erschienen Roman Amuleto hinzuweisen. Es findet sich dort eine deutliche Spur, die einen Weg zur Bedeutung der Jahreszahl 2666 weist. Die Hauptfigur Auxilio Lacouture (ihrerseits schon vorgezeichnet den Wilden Detektiven ) erzählt, wie sie in Mexiko-Stadt eines Nachts Arturo Belano und Ernesto San Epifanio auf ihrem Weg in die Siedlung Guerrero folgt, wohin die beiden die Suche nach dem sogenannten Stricherkönig führt. Dort heißt es:
    »Und ich folgte ihnen. Leichten Schritts liefen sie die Calle Bucareli hinunter bis zum Paseo de la Reforma, den sie überquerten, ohne grünes Licht abzuwarten, beide mit ihren langen, zerzausten Haaren, denn um diese Zeit pfeift ein mächtiger Nachtwind durch den Paseo, und die große Straße verwandelt sich in einen Blasebalg, durch den die imaginären Exhalationen der Stadt sausen, dann begannen wir die Avenida Guerrero hinunterzulaufen, die beiden gingen nun ein wenig langsamer als zuvor, und meine Stimmung wurde immer gedrückter. Die Avenida ähnelt um diese Stunde vor allem einem Friedhof, aber weder einem Friedhof von 1974 noch einem von 1968 oder 1975, sondern einem Friedhof im Jahre 2666, einem Friedhof, vergessen hinter einem toten oder ungeborenen Augenlid, dem wässrigen Rest eines Auges, das, weil es etwas vergessen möchte, am Ende alles vergessen hat.«
    Der Text, den der Leser in Händen hält, entspricht der letzten Fassung der verschiedenen» Teile« des Romans. Bolaño hat sehr genau angegeben, welche seiner Dateiordner als definitiv anzusehen seien. Trotzdem wurden frühere Versionen zu Rate gezogen, um mögliche Auslassungen oder Fehler zu korrigieren und um eventuelle Hinweise auf weiterreichende Absichten des Autors zu entdecken. Diese Spurensuche hat kaum neues Licht auf den Text geworfen und lässt wenig Raum für Zweifel bezüglich seines endgültigen Charakters.
    Bolaño war ein sehr gewissenhafter Schriftsteller. Er fertigte von seinen Texten meistens mehrere Fassungen an, die er in der Regel
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