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258 - Chronik des Verderbens

258 - Chronik des Verderbens

Titel: 258 - Chronik des Verderbens
Autoren: Michelle Stern
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würde die Erkenntnis das Volk der Hydriten ins Verderben stürzen. Schon heute waren die Anhänger des Kriegsherren Mar'os ein Problem. Durch den Verzehr von Fisch und Fleisch hatten die Mar'osianer ihre Emotionen und Aggressionen nicht mehr unter Kontrolle. Sie wurden verbannt und führten fernab der leuchtenden Städte ein Schattendasein. Sollten sie durch die Offenlegung der hydritischen Geschichte Zulauf finden, wäre diese neuerliche Apotheose von Mar'os nur aufzuhalten, indem die Anhänger des Friedensherrschers Ei'don und des Propheten Gilam'esh erneut die alten Waffen gegen sie einsetzten.
    Vogler dachte an den Mars, die ursprüngliche Heimat der Hydriten. Als seine und Clarices Vorfahren dort vor über fünfhundert Jahren nach einer gescheiterten NASA-Mission Fuß gefasst hatten [2] , ahnten sie noch nichts von dem Volk, das hier vor dreieinhalb Milliarden Jahren gelebt hatte. Unter vielen Entbehrungen und Opfern hatten die Menschen das Terraforming in Gang gebracht und erste Kolonien errichtet, die im Laufe der Jahrhunderte zu einem komplizierten System von Stadt-Clans und Waldbewohnern gewachsen waren. Dabei hatte man Artefakte und Inschriften gefunden, die jedoch niemand entziffern konnte - bis Matthew Drax, des Hydritischen mächtig, auf den Mars kam.
    Es war nicht dieses System, das Vogler als Angehöriger der Waldleute vermisste. Es waren auch nicht die zahlreichen Sippenmitglieder, die er auf dem Mars zurücklassen musste. Obwohl er sie allesamt liebte und ehrte, konnte er doch ohne sie leben. Er vertraute darauf, dass der große Vater Mars auf sie achtete.
    Es ist der Wald , dachte er sehnsüchtig. Ich möchte endlich wieder einen Vogel sehen und die Stimmen der Bäume hören.
    Er sah sich selbst zwischen marsianischen Ginkos, Flaschenmelonen- und Weißholzbäumen stehen. Moosbewachsene Felsbrocken türmten sich auf, bildeten skurrile Formationen, besprüht von den Fontänen eines kleinen, fast zu Nebel aufgelösten Wasserfalls. Der Boden war von einem weichen Teppich aus blühendem Moos, Schachtelhalmen und Wollgras bedeckt. Es roch so herrlich. So würde es hier, in diesem salzigen, unterseeischen Reich des Pazifik niemals riechen: nach Heimat.
    »Vog'ler?«, fragte der junge Hydrit. Nach Menschenberechnungen war Dra'nis kaum zehn Jahre alt. Er war unglaublich gelehrig und half von allen Kindern am fleißigsten bei der Pflege und Neubepflanzung des Parks im Naherholungsgebiet der Stadt mit.
    »Bei den Blauseegras-Stauden. Zumindest die sollten wir noch schaffen.« Vogler lächelte und legte dem Jungen seine lange Hand auf den schiefen Rücken. »Ich danke dir, dass du mir noch hilfst, obwohl es so spät ist.«
    »Natürlich helfe ich! Diese Palleas-Schnecken sind die Beulenpest!«
    »Sie sind auch nur Lebewesen, Dra'nis. Geschöpfe, die nach ihrem Glück trachten.«
    »Aber sie machen alles kaputt!« Dra'nis sah den Marsbewohner mit großen Augen an. Durch das in den Helm integrierte Mikrofon hörte Vogler, was der Junge sagte. Umgekehrt wurden seine Worte per bionetischem Lautsprecher nach außen getragen. Darüber hinaus waren die Helme per Funk mit der Zentrale verbunden. Die bionetische Technik, die ein Funken auf sehr niedriger Frequenz erlaubte, wurde durch zahlreiche zusätzliche Relaisstationen innerhalb der Stadt unterstützt, die seit der Inbetriebnahme des Magmakraftwerks wieder arbeiteten.
    Vogler, Clarice und Yann beherrschten die Sprache der Hydriten inzwischen perfekt. Ein halbes Jahr, nachdem sie mit Quart'ol nach Gilam'esh'gad gekommen waren, war auch Matthew Drax zu ihnen gestoßen. Ihn begleitete Yann Haggard, in dem gleich zwei hydritische Geister wohnten: der legendäre Gilam'esh und E'fah, eine uralte Hydritin, die einst als Nefertari über Ägypten geherrscht hatte. Eines war beiden gemein: Sie besaßen keinen eigenen Körper mehr. Yann bot ihnen die Möglichkeit, nach Gilam'esh'gad zu kommen, um sich neue Klonkörper zu züchten.
    Er tat es freiwillig, denn dafür nahmen sie dem Seher die Schmerzen: Yann litt unter einem Hirntumor, der hier durch die überlegene Technik der Hydriten bekämpft werden konnte. Die Behandlung war inzwischen fast abgeschlossen. E'fah und Gilam'esh hatten seinen Körper bereits verlassen. Die Geistwanderer waren vorläufig in die Kinderkörper eilig gezüchteter Klone umgezogen, während ihre endgültigen Hüllen in Ruhe heranreiften und mittlerweile das Teenageralter erreicht hatten.
    Zum Dank für ihre Hilfe hatte Gilam'esh Yann und den
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