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2574 - Das Lied der Vatrox

2574 - Das Lied der Vatrox

Titel: 2574 - Das Lied der Vatrox
Autoren: Susan Schwartz
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nichts ohne das System, dachte die Historikerin. Genau darum geht es

ja.
    Die Arbeit mit den Kindern hatte sie seinerzeit auf die Idee gebracht: Es ging um den

entscheidenden Unterschied zwischen Mann und Frau, weil Frauen Dinge hörten, die Männern

für immer verborgen blieben. In all den Jahrtausenden, seit es begonnen hatte, hatten die

männlichen Vatrox nie eine ähnliche Fähigkeit entwickelt, nicht einmal in Ansätzen.
    Männer und Frauen. Als würden sie heutzutage verschiedenen Spezies angehören, obwohl sie sich

äußerlich kaum voneinander unterschieden. Es gab nur sehr wenige Berührungspunkte zwischen ihnen,

und nur zu seltenen Gelegenheiten kamen sie zusammen.
    Aber warum war das so? Was genau hatte sich gewandelt? Wie konnte so etwas geschehen?
    Es musste mit den Verhältnissen dieses Systems zusammenhängen. Lucba hatte sich auf die Suche

nach den Hintergründen gemacht und war immer tiefer in die Vergangenheit hinabgetaucht, trotz der

Bedenken anderer.
    »Dreh dich nicht um«, hatte ihre Mutter sie einst gewarnt. »Du könntest Dinge entdecken, die

du nicht sehen willst.«
    Doch Lucba hatte sich nicht beirren lassen. Jahrelang hatte sie an einem technischen Modell

gearbeitet, das ihre Vermutungen und Schlüsse »greifbar« machen sollte.
    Das hatte sie niemandem erklären können; solange es nicht funktionierte, durfte sie nicht das

Risiko eingehen, sich der Lächerlichkeit preiszugeben. Es war einfacher, das milde Belächeln

wegen ihres Hangs zur Vergangenheit hinzunehmen, selbst wenn sich diese Nachsicht mit der Zeit in

Mitleid wandelte.
    »Du bist besessen davon!«, warf Usgan Faahr ihr vor.
    »Das ist keine Besessenheit, sondern Forscherdrang. Ich sehe mich als Wissenschaftlerin, die

in die Geheimnisse des Universums vorstoßen will.«
    »Ach, weniger reicht dir wohl nicht?«
    »Usgan, du bist ein Mann, du verstehst nichts von diesen Dingen. Mit unserem Volk geschieht

Großes. Wir sind Auserwählte. Aber das können wir nur begreifen lernen, indem wir die

Vergangenheit ergründen.«
    »Seltsam nur, dass die Frauen dich ebenfalls nicht zu verstehen scheinen«, sagte er

bissig. »Fast jede lacht dich aus.«
    »Schämst du dich meiner?«, fragte sie angriffslustig.
    »Natürlich nicht. Du weißt, ich unterstütze dich in allem. Aber kritische Anmerkungen werden

wohl erlaubt sein!«
    »Die werden überholt sein, sobald ich meinen Vortrag gehalten habe.« Lucbas Züge glätteten

sich. »Nur ein letzter Testlauf, dann bin ich bereit. Es wird funktionieren!«
    »Ich wünsche es dir«, sagte Usgan. »Mehr als alles andere.«
    *
    Der Unterricht war beendet, und Lucba machte sich auf den Weg, sie hatte es eilig. Sie verließ

den fensterlosen Schulungsraum, in dem sich nur ein Schwebesessel, eine Steuerkonsole und die

Simulationshaube befanden, und ging über den Gang in den Wohnraum.
    Sie musste die Augen kurz schließen, als blendendes Licht sie traf: Vat tauchte das große

Zimmer in orangerotes Nachmittagslicht und ließ die weißen Möbel darin schimmern. Die gesamte

Außenwand war als Panoramascheibe gestaltet, die vollständig geöffnet werden konnte.
    Lucba betätigte einen Schalter, und die riesige Vestiglasscheibe schob sich leise summend zur

Seite. Die Historikerin trat auf die ausgedehnte Hochterrasse hinaus und ließ den Blick über

Destita schweifen, das sich von Horizont zu Horizont ausbreitete. Hohe runde Türme mit Auslegern,

üppigen Dekorationen und Ringen, die nachts farbenprächtig erleuchtet wurden. Im Zentrum ragte

unübersehbar die riesige Diamantkuppel der Besinnung empor, der zentrale Versammlungsort

der Frauen. In dieser Kuppel wurde Geschichte geschrieben, fanden die Kreise statt,

entschied sich die Zukunft der Vatrox.
    Es war ein Privileg, dort zu leben, erst recht in dieser Höhe, beinahe so hoch wie das

Kuppeldach.
    Lucba Ovichat verdankte dies ihrer Abstammung, selbst wenn sie die hohen Erwartungen aufgrund

ihrer Entscheidung für die Erforschung der Vergangenheit nicht erfüllt haben mochte. So etwas

änderte nichts an ihrem grundsätzlichen Status. Ihr wurden ohne Rückfragen sämtliche technischen

Geräte zur Verfügung gestellt, die sie anforderte. Viele Jahre lang hatte sie an der Konstruktion

gearbeitet, die Geräte entwickelt und die Programme geschrieben, und das alles ganz allein.
    Nun sollte sich zeigen, ob sie tatsächlich »falsch gepolt« war oder ein Genie.
    »Ein Genie bist du, daran zweifle ich
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