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255 - Winterhexe

255 - Winterhexe

Titel: 255 - Winterhexe
Autoren: Manfred Weinland
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werden konnte. Der unselige Würgereiz aber hielt an und verkrampfte den Körper, und bei jedem Schub rangen die Betroffenen nach Luft. Ihnen schwanden fast die Sinne. Tränen rannen aus ihren Augen. Die Anstrengung ließ ihren Blick verschwimmen, und es dauerte eine Stunde, vielleicht länger, bis sie ganz allmählich wieder zur Ruhe kamen und feststellten, dass sich der tückische Dunst verzogen hatte.
    Wankend kamen sie auf die Beine. Flüche und Verwünschungen zeugten von der langsamen Rückkehr der Kräfte. Aber ihnen allen war schwindlig, sie alle litten unter den Nachwirkungen des extremen Flüssigkeitsverlusts. Schnell griffen sie nach dem Trinkvorrat, den sie in ihren Rucksäcken mitführten. Und nachdem der erste Durst gestillt war, stellte sich Coogan mit vor Schwäche und Resignation zittriger Stimme vor seine Gefährten und krächzte: »Wir haben uns geirrt. Die Hexe… ist immer noch da… und sie hat uns gewarnt, nicht weiter zu gehen. Es gibt zwei Möglichkeiten, darauf zu antworten: Entweder wir machen kehrt und lernen aus der Lektion. Oder…«
    »Oder?«, fragte Alma. »Wir hoffen darauf, dass der Nebel ihre letzte Waffe war, und dringen weiter vor! Zum ersten Mal, seit die Hexe den Wirbel hat entstehen lassen, haben wir diese Chance. Wenn wir sie jetzt nicht nutzen, kommt sie vielleicht nie wieder.«
    Connor, der Vater der einzigen Zwillinge des Dorfes - beide gerade mal sechs und vor der seinerzeitigen Manifestation des Wirbels geboren - schüttelte kategorisch den Kopf. »Vergiss es. Der Hexe ist nicht beizukommen, Wirbel hin oder her. Sie mag ihn zu ihrem Schutz errichtet haben, aber sie ist nicht auf ihn angewiesen. Wir sollten froh sein, dass wir so glimpflich davongekommen sind.«
    Coogan musterte zuerst ihn, dann den Rest der Gruppe. Laut fragte er: »Ist das auch eure Meinung?«
    Die Zustimmung kam erst zögernd, dann immer vehementer. »Es hat keinen Sinn, Ben. Sie sitzt am längeren Hebel.« - »Lass uns heimgehen.« - »Unsere Familien brauchen uns. Tot nützen wir ihnen gar nichts.«
    Coogan merkte, dass ihm die Argumente fehlten, um der berechtigten Forderung und Sorge der Gruppe zu widersprechen. Bei Einbruch der Dunkelheit machten sie sich mit hängenden Köpfen und Schultern auf den Weg zurück ins Dorf.
    Wo ihnen klar wurde, dass der Albtraum noch lange nicht vorbei war.
    ***
    Die im Fackelschein auftauchenden, reglos über die Dorfstraße verstreuten Körper waren der unübersehbare Beweis, dass etwas im Dorf nicht stimmte. Im ersten Moment geschockt, setzten sich Coogans Beine danach scheinbar von selbst in Bewegung. Er rannte zu der ersten liegenden Gestalt. Natürlich kannte er sie, so wie jeden Bewohner der Dreihundertfünfzig-Seelen-Gemeinde. Es war Connors Weib - und eben jener Connor realisierte dies jetzt auch und überholte Coogan schreiend.
    Die Qual, die aus seinen Lauten sprach, erinnerte Coogan schmerzhaft daran, dass seine eigene Frau vergangenen Herbst an einer schweren Krankheit gestorben war. Seitdem zog er seinen Sohn Fynn alleine groß.
    Fynn.
    Noch während er auf Agnes starrte, schlich sich die Sorge um seinen Sohn in Coogans Bewusstsein. Wankend setzte er seinen Weg zu seiner Behausung fort und überließ es den anderen, sich um die Reglosen zu kümmern, die auf der Straße und unter Vordächern lagen.
    »Sie lebt!«
    Das war Connor. Coogan nahm die Botschaft mit einem geringen Maß an Erleichterung zur Kenntnis, als er in den breiten Flur seines stillen, viel zu stillen Hauses stolperte. Die brennende Fackel immer noch in der Hand, stürmte er die Treppe hinauf, wo die beiden Schlafräume lagen. Er stieß die Tür zu Fynns Zimmer auf - und sah im gleichen Moment, da er über die Schwelle stolperte, seine Befürchtungen bestätigt.
    Fynns Bett war verlassen. Ein bittersüßer Geruch hing im Raum. Als Coogan ihn einatmete, musste er husten, und ihm wurde fast schwarz vor Augen. Schnell eilte er zum Fenster und riss es auf, beugte sich weit hinaus. In die Nacht, die - das wurde ihm jetzt erst richtig bewusst - sein Leben und das aller anderen Dorfbewohner verändern würde.
    »Fynn!« Im Umdrehen und nachdem er tief und begierig frische Luft geschöpft hatte, rief er den Namen seines Sohnes. Nicht einmal - hundertmal. Fast mit jedem Schritt, den er durch das Zimmer, durch den Flur und in jede noch so winzige Kammer des Hauses machte.
    Sein Rufen erfuhr keine Erwiderung. Fynn war und blieb verschollen. Coogan wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und lief
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