Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
241 - Splitterzeit

241 - Splitterzeit

Titel: 241 - Splitterzeit
Autoren: Manfred Weinland
Vom Netzwerk:
fuhr Matt fort, der alles ausblendete, was sich um sie herum abspielte, wo die Konoi begonnen hatten, ihre Toten und den immer noch Zuckenden davonzutragen. »Das hätten wir von Anfang an tun können – wenn ich geahnt hätte, wer du in Wahrheit bist.«
    »Ja«, erwiderte sie in der Sprache, die sie beide beherrschten und ohne sich zu ihm umzudrehen. »Vielleicht sollten wir das – aber jetzt ist dafür kein guter Zeitpunkt. Sie verdienen unser Mitgefühl. Sie waren fehlgeleitet. Nicht zum ersten Mal überfielen sie uns. Aber noch nie… auf diese Weise. Und noch nie habe ich ihnen Leid angetan. Doch als ich sah, dass einer von ihnen dich töten würde…« Ihre Stimme stockte.
    Vorsichtig legte Matt eine Hand auf ihre Schulter. Sie zuckte nicht zusammen, sondern wandte ihm langsam wieder das Gesicht zu. Er hatte das Gefühl, jemand völlig anderen anzuschauen als vorhin im Pueblo. Und in ihren Augen sah er wieder die Jahrhunderte, vielleicht Jahrtausende, die diese Hydritin schon unter den Menschen leben und von Körper zu Körper wechseln musste.
    So wie sie es mit den Angreifern gemacht hatte. Matt zweifelte nicht daran, dass ihr Geist von einem zum anderen gesprungen war und ihnen den Befehl erteilt hatte, sich in die Tiefe zu stürzen. Um ihr Volk – und vor allem ihn – zu retten.
    »Wieso sprichst du meine Sprache?«, fragte sie ihn. »Ich spüre, dass du kein Geistwanderer bist.«
    »Ich bin ein Freund der Hydriten«, entgegnete Matt. »Lange war mein Geist mit einem von ihnen verschmolzen, und ein anderer… ein Geistwanderer war mein Freund.« Er vermied es im letzten Moment, von Gilam’esh zu sprechen. Kein Hydrit hätte ihm geglaubt, dass er das legendäre geistige Vorbild der Hydriten, den uralten Hydree, persönlich kannte, ja ein ganzes Leben in dessen Geist verbracht hatte. [4]
    Stattdessen fügte er schnell an: »Was du getan hast, war richtig. Du hattest die besten Absichten.«
    Ein bitterer Zug entstand um ihren Mund. »Die besten Absichten… ja. Aber ändert das etwas daran?« Sie zeigte zu den toten Aschemännern hinab.
    Wortlos folgte Matt ihr zu den anderen, als sie sich in Bewegung setzte.
    An diesem Tag sprachen sie nicht mehr miteinander.
    ***
    Während des Überfalls und auch eine Zeitlang danach hatte Matt den Restschmerz, der seinen Körper bis in den letzten Winkel mit einem dumpfen Rumoren durchzog, gar nicht mehr wahrgenommen, so gepackt hatten ihn die Geschehnisse. Doch nach seiner Rückkehr in »sein« Pueblo drängten sich die Beschwerden zurück in sein Bewusstsein.
    Thekona hatte ihn begleitet, dann aber allein gelassen. Sie musste erst mit sich ins Reine kommen. Sie hatte gegen Gilam’eshs Lehren verstoßen und getötet; das war für einen Hydriten keine Bagatelle.
    Matt hatte sich auf das schlichte Lager aus Stroh und Fellen gelegt und lauschte seitdem dem Treiben des Stammes. Niemand außer Thekona sprach hydritisch. Was aber nicht ausschloss, dass sie es beherrschten. Je nachdem, wie lange sie schon bei dem Stamm weilte.
    Das konnten Jahrtausende sein, denn Geistwanderer waren unsterblich – solange sie ihren Geist vor dem Tod ihres Wirtskörpers in den nächsten transferieren konnten. Dabei war die Auswahl allerdings klein, denn ein wahrer Hydrit würde niemals den ursprünglichen Geist verdrängen oder gar auslöschen. Meist übernahmen sie deshalb hirntote Unfallopfer oder Todgeburten. In Thekonas Fall vermutete er wegen ihres jungen Alters Letzteres.
    Sie nahm zweifellos eine Sonderstellung unter den Puebloindianern ein, und doch schien der Stamm eher dem alten, charismatischen Mann zu folgen, von dem Matt annahm, dass es sich um den Schamanen handelte. Hielt Thekona sich absichtlich im Hintergrund?
    Nur sie selbst würde ihm das beantworten können. Und damit hieß es, sich in Geduld zu üben. Sie würde von allein wiederkommen. Ihr Interesse an ihm war höchstwahrscheinlich ebenso groß wie seines an ihr.
    Über all diesen Gedanken merkte Matthew gar nicht, wie sein immer noch geschundener Körper den Tribut für sein viel zu frühes Verlassen des Krankenlagers forderte. Fast übergangslos glitt er in einen tiefen und – wie er selbst glaubte – traumlosen Schlaf.
    Dass er ausgerechnet in diesem wehrlosen und angreifbaren Zustand Antworten auf seine bohrenden Fragen erhalten würde, hätte er nicht erwartet…
    ***
    Vor ihm stand ein weiblicher Hydrit. »Mein Name ist Da’la.«
    Da’las lippenloser Mund öffnete und schloss sich seltsam asynchron zu dem, was
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher