Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
241 - Splitterzeit

241 - Splitterzeit

Titel: 241 - Splitterzeit
Autoren: Manfred Weinland
Vom Netzwerk:
er den Leiterkarren die Hügel hinaufgeschafft hatte, graste noch in der Nähe. Crow hatte keine Mühe, es einzufangen und mit einem Seil provisorische Zügel zu knüpfen. Sattellos ritt er im Frühlicht die Serpentinenstraße hinab, die zur Stadt führte.
    Zur brennenden, von Rauchwolken durchzogenen Stadt.
    Nie hatte Crow etwas Beklemmenderes gesehen, und je näher er der Ruinenlandschaft kam, desto schneller ging sein Puls.
    Er hatte Matthew Drax vorsätzlich den Polizisten als Plünderer ausgeliefert. Und sich an die Fersen der Ordnungshüter geheftet, um sich mit eigenen Augen davon zu überzeugen, dass sein Rivale auch tatsächlich hinter Schloss und Riegel landen würde.
    In ein vom Erdbeben relativ gering betroffenes provisorisches Gefängnis hatten sie Drax geschafft. Und falls er sich dort immer noch befand, musste er einen Weg finden, ihn wieder loszueisen. Keine leichte Aufgabe, nicht einmal für ihn.
    Crow zügelte sein Pferd. Aus zusammengekniffenen Augen ließ er seinen Blick über das zerstörte Stadtgebiet schweifen. Dort wo es am heftigsten brannte, lag, unsichtbar hinter fettem schwarzen Qualm, das Gebäude, in das Drax gesperrt worden war.
    Die Überlegung von vorhin nahm konkretere Züge an, als Crow sich das gewünscht hätte: Würde das Zeittor gegebenenfalls auch den leblosen, bis zur Unkenntlichkeit verkohlten Leichnam von Matthew Drax akzeptieren?
    ***
    Der leblose, bis zur Unkenntlichkeit verbrannte Leichnam öffnete die Augen.
    Weil er kein Leichnam war – und auch nicht verbrannt.
    Matt hob die Lider und ließ das Licht der Umgebung an sich heran. Licht, das Bilder transportierte und in Matts Gehirn ein Szenario entstehen ließ: ein kleiner, sonnendurchfluteter Raum, karg möbliert, aber sauber, zwei, drei gerahmte Fotos an den Wänden, schwarzweiß und, aus der Entfernung nicht genauer erkennbar, ein Bett – in dem er lag – mit Wäsche, die nach Seifenlauge roch, aber angenehm, und eine schmale Kommode an der dem Fenster gegenüberliegenden Wandseite, darauf ein Krug und eine Schale – Waschzeug.
    Matt brauchte nicht die Zudecke beiseite zu schieben, um zu merken, dass er nackt war – und es wäre ihm auch nicht möglich gewesen, denn er lag auf dem Rücken, die Arme V-förmig von sich gestreckt und die Handgelenke rechts und links an die Bettpfosten gekettet. Mit Polizeihandschellen primitivster Ausführung.
    Für einen Moment war er irritiert, dann stemmte er sich so gut es ging auf die Ellbogen und sah sich um.
    Er war allein. Der ungepolsterte, braun lackierte Stuhl neben dem Fenster war ebenso leer und verlassen wie jede andere einsehbare Ecke. Der niedrige Schrank war geschlossen, ein verschnörkelter Messingschlüssel ragte aus dem Schloss hervor.
    Matt schloss kurz die Augen und lauschte in sich hinein, rief seine Erinnerungen ab. Begreiflicher machten sie die Situation, in der er sich wieder gefunden hatte, jedoch nicht.
    Aber immerhin: Seine Nase fing keinen Brandgeruch mehr auf, keinen beißenden und die Sinne vernebelnden Rauch, wie in den letzten Momenten vor der Ohnmacht. Die Luft hier war erfrischend sauber, weder zu kalt noch zu warm.
    Aber das alles, so gut es ihm tat und so beruhigend es auf den ersten Blick sein mochte, beantwortete nicht die Frage, die ihm auf der Seele brannte.
    »Wo bin ich?«
    Eine Tür ging auf. Draußen zog eine Wolke vorbei, schob sich vor die Sonne. Ihr Schatten legte sich über den Raum. Die Frau auf der Schwelle streifte sich eine Strähne ihres kastanienbraunen Haares aus dem Gesicht und sagte: »In Sicherheit.«
    Sie hatte ihn gehört. Er hatte just in dem Moment gesprochen, da sie die Tür aufgemacht und hereingeschaut hatte.
    Matt sah sie an. Sie war jung, und sie war schön. Von jener unschuldigen Art, wie sie amerikanischen Frauen der Mittelschicht zu Anfang des 20. Jahrhunderts zueigen war. Zugleich wirkte sie bieder und in sich gefangen, in der Rolle, die sie ausfüllte.
    Gesellschaftliche Zwänge, dachte Matt. Das Frauenbild jener Epoche war zu meiner Zeit komplett überholt…
    »Und wie komme ich hierher?«, fragte er mit kratziger Stimme. »Beziehungsweise: Wie verträgt sich Ihre Behauptung mit den Fesseln um meine Handgelenke?«
    Sie trat näher. Die Tür ließ sie offen. Matt konnte auf einen schmalen Flur sehen.
    Die Sonne kehrte zurück, als würden die Schatten von der Frau mit jedem Schritt weiter zurückgetrieben.
    »Ben brachte sie mit. Auf seinem Pferd. Er war völlig erschöpft und erzählte mir, dass Sie…« Sie
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher