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239 - An der Pforte des Hades

239 - An der Pforte des Hades

Titel: 239 - An der Pforte des Hades
Autoren: Mia Zorn
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lassen, ließ Aruula ihren Kopf auf das Schneebett zurücksinken. Es dauerte damals noch acht Winter, bis sich die Prophezeiung von Wudans Auge erfüllte: In einem stählernen Vogel war der mächtige Krieger gekommen und ihr Gefährte geworden: Maddrax, der Mann aus der Vergangenheit. Der Mann, mit dem sie seit vielen Jahren die Kontinente dieser Erde bereiste. Der Mann, den sie liebte, dem sie blind vertraute.
    Vertraute er ihr noch? Wenn ja, warum hatte er sie dann gefesselt? Neben sich hörte sie die Greisin lachen. Die Alte kehrte ihr den Rücken und stapfte davon. Geh nicht weg!, wollte Aruula rufen. Doch die Worte blieben wie knotige Wurzeln in ihrer Kehle stecken.
    Noch einmal wandte die Alte sich nach ihr um. »Erinnere dich, Aruula von den Dreizehn Inseln: Großes und Wundersames hat Wudan mit dir vor, doch fürchte dich nicht! Ein mächtiger Elnak Wudans geht an deiner Seite. Orguudoos finsteres Trachten wird dir nicht schaden können. Erinnere dich, wenn es so weit ist!« Bei den letzten Worten hob sie die Arme und verschwand so plötzlich, wie sie gekommen war.
    Aruula schloss die Augen. Sie erinnerte sich an den Tag, als die Greisin ihr die Hände auf den Kopf gelegt und im Namen Wudans diese Worte zu ihr gesprochen hatte. Als wäre es heute, spürte sie die zerfurchte Wange der Alten an ihrem Gesicht, während sie ihr den Namen des Elnaks ins Ohr flüsterte. Und genau wie damals erfüllte Freude ihre Brust. Leicht wie eine Feder fühlte sie sich.
    Als sie gerade meinte, ihr Körper würde sich von ganz alleine in die Luft heben und mit ihr davon fliegen, ging ein heftiger Ruck durch das Schneebett unter ihr. Aruula wurde zur Seite geworfen. Ihre Schulter prallte gegen etwas Hartes. Um sie herum erhob sich ein Tosen und Fauchen. Wie aus weiter Ferne drang eine Stimme an ihr Ohr. »Aruula, Aruula!«
    Die Barbarin riss die Augen auf. Diesmal war es Maddrax’ Gesicht, das sie vor sich sah. »Hast du dir wehgetan?« Er warf ihr einen besorgten Blick zu. »Unser Hovercraft hat eine der Klippen geschrammt. Tut mir leid, dich geweckt zu haben. Aber es wird immer schwieriger, dieses Gefährt durch den Sturm zu bringen.« Mit der linken Hand wischte er sich eine blonde Haarsträhne aus der Stirn. Die Rechte umklammerte das Steuer. »Das Ufer müsste direkt vor uns sein, aber der Blizzard drängt uns immer weiter ab.« Angestrengt starrte er durch das Bugfenster.
    Aruula rieb sich die Schulter. Noch benommen durch den plötzlichen Wechsel vom Traum in die Wirklichkeit folgte sie seinem Blick. Unruhig schabten die Scheibenwischer über das Glas. Die Scheinwerferkegel des Luftkissenfahrzeugs taumelten durch dichtes Schneegestöber. Dazwischen stob die Gischt der Wellen nach oben. Das Heulen des Eissturms und das Prasseln von gefrorenen Wassertropfen übertönte das dunkle Brummen des Motors.
    Die Barbarin versuchte Ordnung zu bringen in das, was sie sah und hörte, und dem, was ihr als Traumfragmente noch im Kopf rumspukte: Weder war sie gefesselt, noch lag sie in einem Schneefeld. Sie war eingehüllt in einen warmen Pelzmantel. Sie und ihr Gefährte saßen in der Kabine eines Amphibienfahrzeugs, das sie von Clarktown zu einer Station der Briten namens »New Halley« bringen sollte. Draußen tobte ein Sturm. Sie waren entlang der Küste gefahren, aber in dem Schneetreiben konnte sie das Ufer nicht mehr sehen.
    Ein Blick in Maddrax’ Gesicht zeigte ihr: Sie waren in Gefahr! Wohin wurden sie abgetrieben – auf das offene Meer oder geradewegs auf die Klippen der Antarktis?
     
    ***
     
    August 2484, Nischni-Nowgorod
    »Ha! Sie gehört mir. Hab ich’s dir nicht gesagt? Hab ich’s nicht gesagt?« Der langbeinige Gjorgi tanzte durch den Kellerraum der Ruine. Dabei streckte er seinen dürren Zeigefinger Maxim entgegen. Der Narbengesichtige hockte neben Unteroffizier Kusmah auf dem Boden und starrte immer noch sprachlos die Würfel an. »Du wirst dir eine andere nehmen müssen, Brüderchen«, sang Gjorgi. Mit leuchtenden Augen tänzelte er auf die Pachachaos zu, die in einer Ecke des Gewölbes dicht aneinander gedrängt kauerten.
    »Ich bin nicht dein Brüderchen.« Maxims Hand fegte die Würfel über den Steinboden.
    Kusmah klopfte dem jungen Soldaten kameradschaftlich auf die Schulter. »Mach dir nichts draus. Es sind ja genug Frauen für alle da«, sagte er mit schwerer Zunge und reichte ihm die Flasche.
    »Lass mich in Ruhe!« Maxim stieß Kusmahs Arm von sich und stand auf. Sein vernarbtes Gesicht war wutverzerrt.
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