Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

2308 - Die Schattenlosen

Titel: 2308 - Die Schattenlosen
Autoren: Unbekannt
Vom Netzwerk:
spürte; in der es für sie keine Orientierung mehr gab.
    Niemand hielt sie auf. Die Frauen und die wenigen alten Ehrbaren Männer standen vor ihren Zelten und sahen ihr nach, mit leeren Blicken, schweigend wie das Land und der Himmel.
    Niemand fragte, wohin sie ginge.
    Sie wissen es, dachte Ela.
    Nur die Kinder weinten in Coralie.
    Das war das einzige Geräusch, und es verhieß nichts Gutes.
     
    *
     
    Die Sonne, wenn sie denn zwischen den Wolken erschien, stand immer noch tief. Ihre Strahlen vermochten den dichten Wald nicht zu durchdringen und konnten sie nicht wärmen. Trotz des Pelzes fror Ela, und es war nicht nur die klamme Kälte der vom Boden noch aufsteigenden Feuchtigkeit der Nacht, die sich um ihren Geist und ihr Herz legte. Es kam von innen, tief in ihr drin.
    Sie folgte dem Weg. Der Wald, sonst um diese Zeit berstend von Leben, lag wie tot. Die mächtigen Seqoosa-Bäume wuchsen rechts und links von ihr hoch in den unheimlichen Himmel. Kein Blatt bewegte sich. Die Luft stand still.
    Aber die Wolken ... Vielleicht bildete sie es sich ein, doch es kam Ela so vor, als folgten sie in ihrer Bewegung einem bestimmten Muster; als würden sie im Kreis ziehen, um einen unsichtbaren Mittelpunkt.
    Kein Keckern der immer hungrigen Draids, kein Flügelschlag. Kein Tuli brach aus dem Unterholz, um den Weg zu überqueren, und keines der flinken Naggahs kam auf den niedrig hängenden Zweigen der Boochs geflitzt, um zu betteln.
    Es war alles ... wie weit von ihr weg.
    Dabei war sie der Wald, wenn sie in ihn eintauchte. Das Allesisteins, das Rad – sie war doch ein Teil davon, solange sie denken konnte.
    Ela beschleunigte ihre Schritte. Sie hatte den Wald ihr Leben lang geliebt, ihn und seine unzähligen Bewohner, die ihre Freunde waren, die Freunde aller Menschenwesen. Jetzt aber wollte sie froh sein, wenn sie ihn hinter sich gelassen hatte und den Heiligen Hügel vor sich sah.
    Niemand begegnete ihr außer einigen Männern, die mit Hacken und Eimern auf dem Weg zu den Feldern waren, wo sie die Wintersaat ausbrachten oder die bereits gekeimten Getreide kultivierten. Zwei zogen einen Karren mit Muschelkalk, den sie zum Düngen brauchten. Sie grüßte sie, wie man Männer begrüßte, und schenkte ihnen sonst keine Aufmerksamkeit. Ihr fiel nur auf, dass sie, die normalerweise in allem schwerfälliger waren als die Frauen des Stammes, ebenfalls einen niedergeschlagenen Eindruck machten. Sie trotteten im wechselnden Schatten der Wolken mit hängenden Schultern daher und hielten die Köpfe gesenkt.
    Eigentlich taten sie Ela Leid. Sie waren keine schlechteren Menschenwesen, nur weil sie schwach und nicht so klug waren und deshalb die niederen Arbeiten verrichteten und nicht auf die Jagd gingen, geschweige denn eine Stimme im Rat der Frauen hatten. Erst im Alter reiften sie und genossen dann oft den Respekt von ganz Coralie, so wie Joah und Erkrah.
    Ela rieb sich die Arme unter dem Pelz. Immer noch lag der Frühnebel über dem Weg, glitzerten die Nadeln und Blätter der Pflanzen im Tau. Die Welt war wie festgefroren, ohne Wärme, ohne Herz.
    Sie konnte sie nicht atmen, nicht riechen ...
    Endlich hörte der Wald auf. Ela betrat die sich ihm anschließende Ebene mit einem Teil der Felder und den Weiden der Ogga. Normalerweise hatte Ela stets Brot für die Tiere bei sich. Jetzt blieb sie nicht einmal stehen, um die, die an den Holzzaun drängten, zärtlich zu streicheln.
    Nicht einmal Jahib, der ihr gehörte.
    Sie ging noch schneller. Einige Männer arbeiteten auf einem Feld, keiner von ihnen sah auf. Ihre Bewegungen waren langsam und träge.
    Vor der Fischerin lag der Hügel. Die hohen weißen Bäume an seinen Seitenflächen verwehrten die Sicht auf die weite Ebene auf seiner Kuppe, wo sie standen. Elas Herz schlug schneller. Es war lange her, dass sie dort oben gestanden hatte. Es war am Tag ihrer Weihe zur Frau gewesen, vor über einem Dutzend Sommern. Zu den Schattenlosen zu gehen war allein Sache der jeweiligen Spürerin des Stammes. Sie vermochte zu ihnen zu sprechen und ihre Antwort zu vernehmen, um sie anschließend dem Stamm zu verkünden.
    Sie, sonst keiner. Aber es gab keine Spürerin mehr. Der Rat der Frauen musste erst eine neue bestimmen, und bis dahin ...
    Es konnte nicht der Wille der Schattenlosen sein, dass kein Menschenwesen zu ihnen kam, um Rat zu erflehen.
    Ela war stehen geblieben und hatte den Kopf in den Nacken gelegt. Sie spürte den Schwindel wieder und lehnte sich an einen Stamm. Für einen Moment
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher