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23 Uhr, York Avenue

23 Uhr, York Avenue

Titel: 23 Uhr, York Avenue
Autoren: Lawrence Sanders
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von all den anderen Frauen, die ich in meinem Leben gewesen bin. Das Ende von uns allen. Und nachher kommt nichts mehr.
    Anderson: Hast du Angst?
    Ingrid: Nein. So ist es am besten. Du hast recht. So ist es am besten. Ich bin müde, und ich hab' in letzter Zeit nicht mehr schlafen können. Jetzt werd' ich gut schlafen. Wirst du mir auch nicht weh tun, Schatzi?
    Anderson: Ich mach's schnell.
    Ingrid: Ja. Schnell. In den Kopf, glaub' ich. Hier… sieh mal… ich knie mich vor dich hin. Wirst du gut treffen?
    Anderson: Ich treff' gut. Du kannst dich auf mich verlassen.
    Ingrid: Auf dich hab' ich mich immer verlassen können. Duke, erinnerst du dich noch an diesen Tag im Park? An unseren Ausflug?
    Anderson: Ich erinner' mich.
    Ingrid: Dort hab' ich einen Augenblick lang… für einen Augenblick hab' ich…
    Anderson: Ich weiß … ich weiß …
    Ingrid: Ich glaub', ich dreh' mich jetzt um, Schatzi. Ich will dir meinen Rücken zukehren. Ich seh' jetzt, daß ich nicht so tapfer bin, wie ich gedacht hab'. Ich knie' mich hier hin, mit dem Rücken zu dir, und ich werd' mit dir sprechen. Ich werd' einfach alles sagen, was mir in den Sinn kommt. Und ich werd' nicht aufhören, mit dir zu sprechen, und dann wirst du … Du wirst mich… verstehst du?
    Anderson: Ja, ich versteh'.
    Ingrid: Unser Leben? Worum ging's dabei eigentlich, Duke? Einmal hab' ich gedacht, ich wüßte es. Aber jetzt bin ich mir nicht so sicher. Weißt du, in Ungarn gibt es ein Sprichwort… »Bevor du auch nur Zeit hast, einen Blick um dich zu werfen, ist der Ausflug schon vorbei.« Es ist alles so schnell gegangen, Duke. Wie ein Traum. Wie kommt es, daß die Tage mühsam kriechen, die Jahre aber fliegen? Für mich war das Leben eine Gräte, die mir in der Kehle steckengeblieben ist. Es gab kurze Augenblicke wie diesen Nachmittag im Park. Aber meistens war es Schmerz… es war Schmerz … Duke, bitte… jetzt… tu's doch… warte nicht länger. Bitte tu's. Duke? Schatzi? Duke, ich…
    [Pause von fünf Sekunden.]
    Ingrid: Och. Och. Du bist tot, Duke? Du bist draußen? Endgültig 'rausgeholt? Aber ich bin hier. Ich bin noch hier…
    [Pause von einer Minute vierzehn Sekunden.]
    [Eine Telephonwählscheibe surrt.]
    Stimme: Polizeidirektion New York. Was kann ich für Sie tun?

93
    John »Duke« Anderson wurde am 1. September 1968 um etwa sieben Uhr früh in das Leichenschauhaus der Stadt New York gebracht. Ingrid Macht wurde in das Frauengefängnis in der Greenwich Avenue 10 eingehefert. Ihre Wohnung in der Vierundzwanzigsten Straße West 627 wurde versiegelt, und an der Tür wurde ein Wachbeamter postiert.
    Am Vormittag des 2. September 1968 fand um ungefähr zehn Uhr im Polizeihauptquartier in der Centre Street 240 eine Sitzung statt, an welcher bevollmächtigte Vertreter der interessierten Behörden teilnahmen, darunter der Polizeidirektion New York; des Büros des Staatsanwalts für den Amtsbezirk New York; des Bundeskriminalamts; des Kontrollamts für inländische Steuern und Abgaben; des Bundesamts für Rauschgiftbekämpfung; und der Börsenaufsichtsbehörde. Zu den Vertretern der New Yorker Polizeidirektion zählten Beamte des 251. Distrikts, des Rauschgiftdezernats, der Mordkommission Ost, der Mordkommission West, des Polizeilaboratoriums und des Nachrichten-Verbindungszentrums. Auch ein Vertreter der Interpol war anwesend. Der Autor durfte dieser Sitzung als Beobachter beiwohnen.
    Im Verlauf der Beratungen wurde eine Gruppe von zehn Mann zusammengestellt und angewiesen, die Wohnung der Ingrid Macht in der Vierundzwanzigsten Straße West 627 zu untersuchen; diese Aktion sollte am 2. September 1968 um 15.00 Uhr in Szene gehen und nach dem Übereinkommen aller anwesenden Behördenvertreter beendet werden. Der Autor erhielt die Erlaubnis, der Aktion als Beobachter, nicht aber als aktiver Teilnehmer, beizuwohnen.
    Die Durchsuchung der vorerwähnten Räumlichkeiten begann um etwa 15.20 Uhr und wurde zu meiner Befriedigung mit fachmännischem Geschick, gründlich und zügig durchgeführt. Es wurden eindeutige Beweise entdeckt, die Ingrid Macht mit Personenkreisen in Verbindung brachten, deren Tätigkeit dem Einschmuggeln verbotener Rauschgifte in die Vereinigten Staaten galt. Es fanden sich auch Hinweise darauf, daß sie (mutmaßlich) in der Stadt New York Prostitution betrieben hatte. Ferner deuteten drastische (wenn auch nicht beweiskräftige) Anhaltspunkte darauf hin, daß Ingrid Macht in den Diebstahl und Wiederverkauf von Wertpapieren - darunter
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