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223 oder das Faustpfand - ein Kriminalfall

223 oder das Faustpfand - ein Kriminalfall

Titel: 223 oder das Faustpfand - ein Kriminalfall
Autoren: Residenz
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dafür.
    Ich war am 2. 5. 1945 bei dem in Hofamt Priel wohnhaften Landwirt Josef Böcksteiner abends auf Besuch. Um zk. 23.30 Uhr ging ich von dort nach Hause. Auf dem Heimweg begegnete mir ein Personenwagen, der sehr langsam fuhr. Hinter dem Personenauto gingen Leute mit Bündel auf den Rücken. Hinter den marschierenden Personen fuhr wieder ein Personenauto und beleuchtete mit seinen Scheinwerfern die marschierende Gruppe. Nach meiner Schätzung dürften die marschierende Gruppe zk. 50-60 Personen gewesen sein. Neben der marschierenden Personengruppe sah ich flankierend mehrere Soldaten. Ihre Uniform konnte ich nicht erkennen, da sie wegen des Regens Zeltbahnen umgehängt hatten. Einer von diesen Soldaten rief mich an, wo ich hingehe. Ich antwortete ihm darauf, dass ich nach Hause gehe, worauf mir dieser Soldat noch antwortete »drahn’s Ihna«. Ich ging dann nach Hause und hörte und sah auch weiter nichts mehr
, fasst Revierinspektor Winkler die Aussage, die Stadler rasch und ohne groß zu überlegen gemacht hat, zusammen.
    Mein Gott, bei diesen Sauhunden waren auch Unsrige dabei, denkt der Gendarm.
    »Darf ich mir eine anstecken?«, fragt Ludwig Stadler.
    »Hier nicht, draußen im Mannschaftsraum können Sie rauchen oder vor der Tür.«
    Vorstehendes wurde mir vorgelesen, habe es auch selbst durchgelesen und für richtig befunden
, fügt der Gendarm noch hinzu, bevor er das fertige Protokoll aus der Maschine zieht und langsam vorzulesen beginnt.
    Korporal Landler, das Requirierungsgenie, hat schon in aller Herrgottsfrüh jede Menge Eichelkaffee und etwas Milch aufgetrieben, dazu gibt es ein paar Scheiben Roggenbrot. So ist dieser Morgen, findet Revierinspektor Winkler, nicht vollkommen unerträglich, nicht komplett trostlos. Seinen zum Dienst erschienenen Männern gibt er den Auftrag, an den Exekutionsorten in Hofamt Priel den Volkssturm bei der weiteren Bergung der Dokumente und Habseligkeiten der Ermordeten zu überwachen, sich aber auch bei den Leuten umzuhören, was so geredet wird über das Massaker. Die Männer sind froh über diese Aufträge, die sie davor bewahren, ohne eigentliche Beschäftigung im Posten herumzuhängen und auf das Ende des so genannten Dritten Reiches und auf die Russen zu warten.
    Winkler selbst hat es inzwischen auch aufgegeben, in Duchkowitschs Kommandantenzimmer vor dem Telefon zu hocken, und ist wieder in sein eigenes Büro zurückgegangen. Dort grübelt er weiter, und dorthin hat Korporal Landler auch den aussagewilligen Ludwig Stadler geführt. Nicht lange nach dessen Abgang erscheint der Persenbeuger Ortsgruppenleiter höchstselbst, aber in Zivil, und bringt einen Kartoffelsack mit der Hinterlassenschaft der ermordeten Juden. Der Inhalt des Sackes strömt einen intensiven Brandgeruch aus.
    Der Revierinspektor starrt allein in seinem Dienstzimmer den Sack erst eine halbe Stunde lang an, bevor er ihn öffnet und die Dokumente auf seinen Schreibtisch schüttet. Mir bleibt auch nichts erspart, denkt er und macht sich an die Sichtung der Überbleibsel.
    Zuvor hat er den Urban noch angewiesen, bei der ermordeten Paula Precz-Weisz nach einem wertvollen Schmuckstück zu suchen, und zwar in einer Bauchbinde. Dr. Weisz hatte ihn am Vortag darum gebeten. Paula Precz-Weisz, eine Schwester von Dr. Weisz, war mit ihren 5 Kindern ermordet worden. So weit war die Liste der Opfer, die Revierinspektor Winkler in Arbeit hatte, schon gediehen. Nun würde sie durch die gefundenen Dokumente weiter vervollständigt werden. Der Gendarm hatte sein Handwerk eben gelernt.
    Winklers Liste wird nur langsam länger, er kommt an diesem Vormittag des 4. Mai 1945 mit der Schreibtischarbeit nicht recht voran. Immer wieder hält er inne, schaut quasi ins Narrenkastl, wie man hier sagt, dann wieder schreckt er zusammen und ist für ein paar Minuten unfähig, noch einen weiteren Namen in die Schreibmaschine zu tippen. Ein blutiger Pass, ein angesengter Liebesbrief, ein vom Todesschweiß aufgewelltes Foto, ein halb verbranntes Schulheft.
    Die meisten Dokumente sind in ungarischer Sprache abgefasst, nur einige wenige auf Deutsch, wie zum Beispiel Ambulanzkarten für die unentgeltliche Behandlung von Unbemittelten im Spital der Israelitischen Kultusgemeinde in Wien oder vorgedruckte Aufforderungen zur Teilnahme an der Volks-Röntgenuntersuchung. Auch György Strochs kleines, blaues Schulheft nimmt er kurz zur Hand, liest aber das darin enthaltene Tagebuch des Jungen nicht.
    Bei den ungarischen Dokumenten handelt es
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