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223 oder das Faustpfand - ein Kriminalfall

223 oder das Faustpfand - ein Kriminalfall

Titel: 223 oder das Faustpfand - ein Kriminalfall
Autoren: Residenz
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noch etwas hinzufügen, wenn auch nichts Sachdienliches mehr. Ohne Hoffnung auf eine Pause im Redefluss der Zeugin zu haben, unterbricht Winkler ihre Suada mit einer eindeutigen Handbewegung und fordert sie auf, die üblichen Angaben zur Person zu machen, schließlich und endlich sei er ja eine viel beschäftigte Amtsperson und könne nicht jeden in Hofamt Priel kennen. Handschriftlich nimmt er das Nationale auf:
Baierböck Johanna, geb. Hofer, Haushälterin, am 10. 5. 1897 in Pisching, Kreis Melk, Nd. D. geb., in Hofamt Priel, Kreis Melk, Nd. D. zust., dortselbst Nr. 40 (Zotterhof) wohnhaft, deutsche Staatsangehörige, r. k., verh., 3 Kinder im Alter von 16 – 22 Jahren, ist die Ehegattin des Maurers Johann Baierböck, die Tochter des Heinrich Hofer und der Franziska, geb. Scheibreithner, ist kein Mitglied der NSDAP
.
    Nachdem sie diese Angaben schließlich gemacht hat, schweigt die Baierböckin leicht beleidigt. Der Revierinspektor genießt die Ruhe, während er das Nationale, das er sich notiert hat, wie eine Maschine in die Maschine tippt. Gleichzeitig ist er entsetzt über diese geradezu mordsmäßige List, welche die SS angewendet hat. Kein Wunder, dass niemand die Gendarmerie verständigt hat.
    Am frühen Abend des 5. Mai 1945 erweist Revierinspektor Winkler den 223 Toten seine stille Reverenz. Er ist allein zu dem Acker in der Rotte Lahnhof in Hofamt Priel gegangen, wo französische Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter aus dem Osten die Opfer in 2 langen, mit Stroh ausgelegten Reihen bestattet hatten. Ein Fuhrwerker aus Hagsdorf, von der Profession her eigentlich ein Abdecker, hatte die Leichen mit seinem Wagen von den Exekutionsstätten und vom Lager geholt und zum Massengrab gebracht. Die Leitung der 2 Tage dauernden Bestattungsarbeiten hatten Erzherzog Friedrich Habsburg, der Schlossherr von Persenbeug, und der ehemalige Persenbeuger Bürgermeister Josef Haider inne gehabt.
    Obwohl der Revierinspektor nicht religiös ist, nimmt er die Dienstmütze ab und spricht in Gedanken ein Gebet, ein Kindergebet, das er als einziges noch auswendig weiß. Er ist sich nicht sicher, ob es überhaupt zulässig ist, an einem jüdischen Grab ein christliches Gebet zu sprechen, wenn auch nur in Gedanken, aber letztlich überwindet er, für den eigentlich vor allem Vorschriften zählen, vor allem Regeln und Gesetze Relevanz und Gültigkeit haben, seine Bedenken.
    Der Revierinspektor ist ganz bewusst allein gekommen, und rund um die Grabstätte ist weit und breit niemand zu sehen. Nun fühlt er sich erschreckend einsam, und eine starke Sehnsucht nach seiner Frau befällt ihn. Insgeheim macht er sich Vorwürfe, dass er das Judenlager nicht auch in der Nacht von seinen Gendarmen bewachen ließ, wodurch das Schlimmste vielleicht hätte verhindert werden können, und diese Selbstvorwürfe wiegen sehr schwer. Aber andererseits, denkt Winkler, ist es auch höchst fraglich, ob sich die SS dadurch hätte abschrecken lassen und ob Kommandant Duchkowitsch einer solchen nächtlichen Bewachung, womöglich schon ab dem 25. April, die ja eine schwere zusätzliche Belastung für die Männer gewesen wäre, überhaupt zugestimmt hätte. Gerade der hatte immer seinen eigenen Kopf, und bis vor einigen Tagen hatte er ja auch das Ruder noch fest in der Hand. Aber über den Duchkowitsch, diesen scharfen Hund, räsoniert der Revierinspektor, will ich gerade hier nicht nachdenken. Hier hat alles Denken ein Ende, hier könnte man sich auch wunderbar selbst erschießen.
    Gelangweilt sieht der Wagnermeister Johann Neulinger am Vormittag des 6. Mai 1945 zu, wie Revierinspektor Franz Winkler mit dem System Adler das Nationale in die alte Schreibmaschine klopft. Ob er rauchen dürfe, fragt er. Der Gendarm verneint, ohne von dem eingespannten Blatt Papier vor sich aufzusehen.
    Neulinger Johann, Wagnermeister, am 25. 5. 1900 in Hofamt Priel, Kreis Melk, Nd. D. geb. und dahin zust., dortselbst Nr. 78, Rotte Priel, wohnhaft, deutscher Staatsangehöriger, r. k., verh., 6 Kinder im Alter von 4 – 14 Jahren, Ehegatte der Marie, geb. Heiligenbrunner, Sohn des Josef und der Cäzilia geb. Zeitlhofer, ist kein Mitglied der NSDAP. Wehrverhältnis ist u. k. wegen Betriebs einer Landwirtschaft
.
    Das Hitler-Bild ist inzwischen aus dem Büro verschwunden, an der Wand hinter dem am Schreibtisch sitzenden Gendarmen prangt an seiner Stelle ein rechteckiger weißer Fleck.
    Unter der Überschrift
Zur Sache
fasst Revierinspektor Winkler nun die Angaben des Neulinger zusammen,
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