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223 oder das Faustpfand - ein Kriminalfall

223 oder das Faustpfand - ein Kriminalfall

Titel: 223 oder das Faustpfand - ein Kriminalfall
Autoren: Residenz
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seine Mutter und seine beiden Schwestern immer wieder die grauenhaftesten Martyrien erleiden mussten. Mit schmerzendem Kopf, Herzrasen und kaltem Schweiß am ganzen Körper ist er immer wieder erwacht, und er versuchte krampfhaft, wach zu bleiben, um nur ja nicht mehr einzuschlafen, um nicht in die Bilder in seinem Schädel zurückzufallen. Doch sein übervoller Magen und die Wärme im Heu ließen ihn jedes Mal gleich wieder müde werden und abermals das Grausamste, das Schlimmste im Traum miterleben. In den kurzen, vielleicht noch quälenderen Wachphasen fragte er sich andauernd, warum gerade er, warum ausgerechnet er übrig geblieben war. Nichts wünschte er sich dann sehnlicher, als ebenfalls tot und bei seiner Mutter und seinen Schwestern zu sein.
    Auch Franz Moser hat unruhiger geschlafen als gewöhnlich, schreckte aber immerhin nicht jede halbe Stunde auf. Beim Ruf des Bauern glitt er aus dem Schlaf. Tibor dagegen, bleich wie eine frisch gekalkte Wand und an Händen und Füßen leicht zitternd, war schon eine Weile wach, bevor der Bauer das riesige, knarrende Stadeltor öffnete.
    Gemeinsam robben und rutschen die beiden Jungen nun über den Heustock dem Tor zu, wo sie Georg Forsthofer mit einem großen, grüngrauen Rucksack erwartet. Darin sind ein Doppler Trinkwasser eingepackt, jede Menge Grammeln und Brot.
    »Es ist Zeit, Burschen«, sagt der Bauer nur und hält dem Franz den schweren Rucksack hin.
    Der Abschied ist unsentimental. Am Land erkennt man die Gefühle vor allem an den Lebensmitteln, welche einer auftischt beziehungsweise mitgibt, also herschenkt.
    Eine gute halbe Stunde wandern die beiden ungleichen Halbwüchsigen in völliger Dunkelheit dahin, bis sie in einem jungen Mischwald angelangt sind, der dem Forsthofer gehört. Die Fußsohlen des kleinen Tibor beginnen wieder zu schmerzen. Er geht praktisch auf seinen bloßen Knochen, Sehnen und Muskeln dahin. Im Wald wird dem verwaisten Jungen ganz angstig, und dem Moser sein Franz muss auf ihn einreden wie auf ein krankes Pferd, um ihn zum Weiterhumpeln zu bewegen. Tibor beißt die Zähne zusammen. Schließlich, ungefähr in der Mitte des Waldstücks, bückt sich der junge Moser und hebt mit einer Hand eine Art Deckel aus eng zusammengeflochtenen Ästen hoch, die mit dicken Moosplacken bedeckt sind. Darunter gähnt ein zirka 2 Meter tiefes Erdloch.
    Wie ich es heute Nacht geträumt habe – ein Grab, schießt es Tibor durch den Kopf.
    »Hier finden uns die Kettenhunde nie«, meint Franz Moser zuversichtlich. »Diese verfluchten Arschgeigen, wie mein Herr Vater zu sagen pflegt.«
    Vorgeladen erscheint der in Hofamt Priel Nr. 35 (Rotte Zotterhof) wohnhafte Kraftfahrer Ludwig Stadler und gibt, mit dem Gegenstand der Vernehmung bekannt gemacht und zur Wahrheit ermahnt, folgendes an
, tippt Revierinspektor Winkler am Morgen des 4. Mai 1945 in die alte Remington auf seinem Schreibtisch im Gendarmerieposten Persenbeug – und das geht vielleicht noch ein bisschen langsamer und mühevoller als sonst. Der Gendarm hat eine unruhige und fast schlaflose Nacht hinter sich, die er in eine Decke gewickelt auf dem Bürostuhl des noch immer nicht zum Dienst erschienenen Postenkommandanten Engelbert Duchkowitsch verbracht hat.
    Stadler Ludwig, Kraftfahrer, am 6. 8. 1903 in Hofamt Priel, Kreis Melk, Niederdonau geb. und dahin zust., dortselbst, Rotte Zotterhof Nr. 35 wohnhaft, deutscher Staatsangehöriger, r. k., verh., 4 Kinder, ist der Ehegatte der Josefa, geb. Bärenschimmel, ist der Sohn des Franz und der Franziska geb. Braun, ist kein Mitglied der NSDAP, Wehrverhältnis ist derzeit für den Forstbetrieb u.k. gestellt
, tippt er müde weiter.
    Die ganze Nacht ist Winkler vor dem Diensttelefon gesessen, aber es hat bis jetzt noch immer keine Meldung aus Melk gegeben. Immerhin war gestern kurz vor 11 Uhr nachts Korporal Landler von seiner Eskorte aus Pöchlarn zurückgekommen, von Staub und Dreck bedeckt und unendlich müde. Mitten in seinem Bericht war er einfach im Stehen eingeschlafen. Bis Pöchlarn zumindest, hatte der Revierinspektor noch erfahren, war der DRK-Wagen mit den Überlebenden durchgekommen, alles Weitere sei ungewiss. Winkler hat seinen Korporälen die beiden Nachtdienstpritschen überlassen und sich selbst in das Kommandantenzimmer zurückgezogen, um dort vor dem stummen Telefon in schwarze Gedanken zu versinken. Erst gegen 3 Uhr früh schlief er ein, schreckte aber immer wieder aus Alpträumen hoch. Winkler schrie im Schlaf auf und schämte sich
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