Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
223 - Gaston, Diana - Die mysteriöse Miss M

223 - Gaston, Diana - Die mysteriöse Miss M

Titel: 223 - Gaston, Diana - Die mysteriöse Miss M
Autoren: Diane Gaston
Vom Netzwerk:
gegenüber Platz genommen hatte, fragte er: „Wohin soll der Kutscher Sie bringen?“
      Das zierliche Dienstmädchen drückte sich an Miss England, die ihm zugewandt dasaß, deren Gesicht er aber kaum erkennen konnte. „Wir können nirgendwohin“, antwortete sie leise.
      „Gibt es keinen Verwandten, der sich überreden lassen könnte, Sie aufzunehmen?“ Die Situation, in die er sich gebracht hatte, wurde immer verfahrener.
      „Es gibt niemanden.“ Sie wandte sich ab, hielt den Kopf aber stolz erhoben. „Setzen Sie uns ab, wo es Ihnen genehm ist.“
      Sollte er sie etwa irgendwo auf der Straße rauslassen? Man würde sie im Nu überfallen. Für wie viele Übernachtungen in einem Gasthaus würde sein Geld wohl reichen?
      In diesem Augenblick stieß das Bündel in Miss Englands Armen einen leisen Schrei aus. Zwei kleine Arme befreiten sich aus dem Stoff und schlangen sich fest um den Hals der jungen Frau.
      „Was ist das?“, fragte Devlin.
      Das Cape rutschte ein Stück weit zur Seite, zum Vorschein kam ein kleiner Kopf mit dunklem Haar wie dem von Miss England. Das Kind drückte sich an sie und war im nächsten Moment wieder eingeschlafen.
      „Dies ist meine Tochter“, erklärte sie mit bebender Stimme, die unsicher und trotzig zugleich klang. „Linette … England.“
      „Mein Gott.“
      „Ich wünschte, Sie könnten den Kutscher losfahren lassen“, sprach sie. „Wohin, ist mir gleich. Aber Lord Farley könnte es sich anders überlegen.“
      Devlin gab dem Mann seine Adresse. Wohin sollte er zwei Frauen und ein Kind auch sonst bringen, wenn sein Verstand von Brandy und Müdigkeit zu benebelt war, um einen klaren Gedanken zu fassen?
      In der Kutsche machte sich Schweigen breit. Miss England vermied ganz bewusst jegliche Unterhaltung, während Devlin den Mund hielt, da er sich über sein voreiliges Verhalten ärgerte.
      Der fahle Lichtschein der Morgendämmerung durchdrang mühsam den Londoner Nebel, als die Droschke vor einem schlichten, schmucklosen Haus nahe der St. James’s Street anhielt. Devlins Wohnung befand sich im Randbereich des Bezirks, der zwar unmodern war, dafür aber auch günstigere Mieten bedeutete. Das Gebiet war bestens bekannt dafür, dass dort die Dirnen der feinen Gesellschaft zu Hause waren, und daher für einen Gentleman annehmbar.
      Sein Gefolge stieg nach ihm aus der Kutsche aus, und die zierliche Dienerin nahm den Handkoffer an sich, ehe Devlin nach ihm greifen konnte. Unwillkürlich musste er lachen. Auf einen zufälligen Beobachter hätten die Frauen wie zwei Mätressen in männlicher Begleitung gewirkt – zumindest so lange, wie das Kind in Miss Englands Armen ruhig blieb.
      Devlin ging zum Eingang, der auf halbem Weg zum Hinterhof lag.
      Wenn Bart erst einmal zu sehen bekam, was er vergangene Nacht beim Kartenspiel gewonnen hatte! Und erst das Gesicht des Sergeants, wenn sie alle das Haus betraten! Schon allein deshalb würde sich diese Eskapade gelohnt haben.
      Auf dem Schlachtfeld hatte Devlin ihm einmal das Leben gerettet, und seitdem war es für den älteren Mann zur Pflicht geworden, auf ihn aufzupassen. Die oberste von allen selbst auferlegten Aufgaben bestand darin, Devlins impulsive und überstürzte Art zu bändigen – was ihm ganz offensichtlich nicht gelungen war.
      Lebe für den Augenblick, das war ein Credo, das gut zu Devlin passte, auch wenn es bei ihm mehr wie ein Fluch wirkte. Dieses Lebensmotto war der Grund, weshalb man ihn von einigen Schulen verwiesen hatte. Doch von dem Zeitpunkt an, als sein Vater ihm sein Offizierspatent kaufte, stand es dafür, einfach nur zu überleben. Nun dagegen bedeutete es, dass er zwei Frauen und ein Kind in seiner Obhut hatte.
      Als er über die Schulter schaute, stellte er fest, dass die beiden ihm nicht gefolgt waren, sondern dort zurückgeblieben waren, wo sie die Droschke verlassen hatten. Sie standen da und sahen so verloren aus wie Obdachlose.
      Devlin verfluchte sich. Sie nahmen offenbar an, er würde sie an dieser Stelle zurücklassen! Wann hatte er jemals einen Menschen in Not ignoriert? In seiner Jugend war es seine Angewohnheit gewesen, verlassene Tiere aufzulesen und nach Hause mitzunehmen, wo er sie dann vor seinem Vater hatte verstecken müssen.
      Er ging zurück zu der Gruppe. Drei weitere herrenlose Geschöpfe, die er in seine Sammlung aufnehmen konnte.
      „Hier entlang, wenn ich bitten darf.“ Abermals nahm er dem Dienstmädchen den Koffer aus der Hand.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher