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223 - Die Sünden des Sohnes

223 - Die Sünden des Sohnes

Titel: 223 - Die Sünden des Sohnes
Autoren: Jo Zybell
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Wehrgang nach Westen. Die anderen folgten ihm. Auf allen Wällen, in allen Stellungen brach Unruhe aus.
    Der Kaiser spähte zögernd hinter sich nach Osten. Als er sah, dass dort alles ruhig zu sein schien und Victorius das Kommando übernommen hatte, lief auch er zum Westwall. Dort rückte das feindliche Heer tatsächlich auf breiter Front vor.
    Helle Aufregung herrschte am Stadtrand. Befehle flogen hin und her. Schon feuerten die ersten Dampfdruckgeschütze. An den westlichen Ecken des Süd- und des Nordwalls justierten die kaiserlichen Blauröcke ihre Kanonen Richtung Westen. Schützen richteten ihre Steinschlossflinten auf die heranstürmenden Angreifer. Männer, Frauen und Halbwüchsige in Zivil schleppten Kübel voller Gülle und Büchsen mit heißem Öl herbei. Schüsse krachten, Pulverdampf stieg auf.
    Zweihundert Meter trennten das feindliche Heer noch vom Westwall Wimereux-à-l’Hauteurs, als die breite Angriffsfront sich plötzlich teilte. An die vierhundert Huutsi scherten nun unter der Führung des dicken Generals nach Norden aus und etwa genauso viele nach Süden. Ungefähr zweihundert feindliche Krieger folgten ihrem weißen König auf seinem Efranten, der weiterhin direkt zum Westwall vorstieß.
    Kaiser de Rozier stand zwischen seinem Sohn Akfat und den Emissären auf dem Ballonwulst und beobachtete die Zangenbewegung der Angreifer. Er konnte sich keinen Reim auf das Manöver machen. Näher und näher rückten die Erstürmungstürme, die Schlacht-Efranten, die Tsebrareiter und die Dampfgefährtkrieger. Victorius und Akfat brüllten Befehle nach allen Seiten. De Rozier versuchte zu verstehen, was vor den Wällen seiner Hauptstadt geschah.
    Schon rammten Krieger mit Federbüschen auf den Köpfen den ersten Turm gegen den Wall, schon flogen Widerhaken, und nicht weit von de Rozier brach eine Frau von einer Kugel getroffen zusammen. Aus den Augenwinkeln beobachtete der Kaiser, wie die beiden Emissäre auf einmal wild zu gestikulieren begannen. Die Dolmetscherin drängte sich an seine Seite. »Sie sagen, das sei nicht ihr König, Eure Excellenz«, erklärte sie.
    »Comment?« De Rozier verstand nicht sofort. »Wer sei nicht ihr König?« Die Dolmetscherin deutete dorthin, wo auch die Emissäre schon die ganze Zeit hinwiesen – auf den Weißen im Hauptsattel des zentralen Schlacht-Efranten, auf den vermeintlichen König des feindlichen Heeres. De Rozier setzte das Fernrohr ans Auge. Fast im gleichen Moment hörte er Schüsse am anderen Ende der Stadt.
    Der Kaiser fuhr herum – auf dem Ostwall wurde gekämpft! Er setzte das Fernrohr erneut an. Ein schwarzer Hüne hieb mit seiner Klinge auf die Kanoniere einer Geschützstellung ein. »Quelle misère!«, entfuhr es de Rozier.
    Auch seine Söhne waren auf die Schüsse am Ostwall aufmerksam geworden. »Der Echsenartige!«, rief Akfat. »Er ist noch in der Stadt! Nun gnade uns Gott!«
    Prinz Akfat hatte recht, und dem Kaiser stockte der Atem: Der Echsenmann, von dem Matthew Drax erzählt hatte, wütete unter den Soldaten auf dem Ostwall. Victorius schoss aus einem Steinschlossgewehr auf ihn, doch abgesehen von einer Dampfwolke, die kurz aus dem Echsenkörper quoll, blieb der Schuss ohne Wirkung. Der Echsenartige packte den Prinzen und schleuderte ihn vom Wulst in die Stadt hinunter.
    De Rozier hielt den Atem an. Reglos blieb sein Sohn liegen. Und noch etwas musste de Rozier erkennen: Auch andere feindliche Krieger kämpften auf dem Wall! Drei, vier, nein: fünf zählte er bereits. Und immer weitere kletterten über das verbliebene Gestrüpp zur Wallkrone herauf.
    Der Kaiser erkannte eine Kriegerin mit rot verschmiertem Gesicht, die mit einer Faustfeuerwaffe um sich schoss; und er erkannte einen weißen Jüngling mit langem dunklen Haar, der ein großes Schwert schwang.
    Das war der Augenblick, in dem Kaiser Pilatre de Rozier das Unfassbare zu begreifen begann: Wimereux-à-l’Hauteur würde fallen; unweigerlich.
    ***
    Mit aller Macht hatte sich Aruula gegen die Übernahme durch das fremde Bewusstsein gestemmt. Während des Starts, als Nefertari sich sicher fühlte und mit Maddrax’ Erklärung beschäftigt war, hatte sie deren Geist mit den schrecklichsten Bildern überflutet, die ihr Gedächtnis zu bieten hatte: blutrünstige Barbaren im Nebel, Taratzen im Eis, geflutete Tunnel, Riesenspinnen in Ruinengewölben, Blut saufende Nosfera, Vulkanausbrüche, tobende Daa’muren, Nuklearexplosionen und so weiter…
    Nefertari war von der mentalen Bilderflut
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