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2132 - Der Saltansprecher

Titel: 2132 - Der Saltansprecher
Autoren: Unbekannt
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ersten Mal zu uns. Ich glaube, ich spreche für jeden hier, das ist ein Erlebnis, das wir nie vergessen werden." Sebor lächelte, während andere Komiteemitglieder nickten. Die Abenddämmerung warf lange Schatten über ihre Gesichter. „Aber, und auch da spreche ich wohl für jeden hier, hat einer von uns diese erste Vision verstanden? Waren wir nicht vielmehr so überwältigt von den Bildern in unserem Geist, dass uns ihre Bedeutung verborgen blieb? Zumindest habe ich es so erfahren. Und wenn es bei euch auch so war, gibt es keinen Grund, Tieger von der Zeremonie auszuschließen. Er wird nicht mehr und nicht weniger verstehen als alle anderen."
    Das Komitee der Neun schwieg. Lemna nutzte die Gelegenheit und stand auf. „Ich bitte euch", sagte sie, „meinem Sohn diese Freude zu erweisen. Er hat sieben Jahre lang für diesen Tag gelernt und sein Bestes gegeben. Es wäre falsch, ihm die Belohnung für all das zu verwehren." Sebor lehnte sich zurück. „Ihr argumentiert mit einer Leidenschaft, die Tiegers Vater nicht zu teilen scheint. Oder wie ist es sonst zu verstehen, dass nur seine Mutter und sein Arzt hier sind?"
    Die Bemerkung versetzte Lemna einen Stich, was zweifelsfrei auch so geplant gewesen war. Ters hatte die Schande eines Mikhate-Kindes nie überwunden und überließ ihr seit Jahren Tiegers Erziehung. Dass sie und Rufas sich dabei mehr als nur nahe gekommen waren, schien er nicht zu bemerken - im Gegensatz zum Rest des Dorfes, wie Sebor gerade deutlich gemacht hatte. Sie spürte Rufas' Blick, wich ihm jedoch aus. Das Komitee hätte einen solchen Kontakt als Schwäche ausgelegt. „Ters entscheidet für sich selbst", sagte sie, „ebenso wie Rufas und ich es tun. Ihr könnt nur über meinen Sohn befehlen, nicht über uns."
    Das war eine gewagte, fast schon unverschämte Antwort. Lemna bemerkte die Unruhe, die durch die Mitglieder des Komitees ging. Ihre dunklen Kutten raschelten, als sie sich zueinander neigten und geflüsterte Kommentare austauschten. Rufas stand reglos neben ihr. Sein Gesicht war merkwürdig entspannt, so als habe er akzeptiert, dass die Entscheidung des Komitees gozin Schicksal - war. Es ging nie um Tiegers Teilnahme an der Zeremonie, dachte Lemna. Das war nur ein Vorwand, um Rufas und mich beschuldigen zu können.
    Dabei überraschte es sie fast, dass das Komitee so lange gewartet hatte. In einer kleinen Gemeinschaft wie der, in der sie lebten, war es unmöglich, Geheimnisse über längere Zeit zu bewahren. Vermutlich tuschelten die Dorfbewohner bereits seit Monaten, wenn nicht sogar seit Jahren. Für das Komitee der Neun musste das ein unhaltbarer Zustand sein, denn sie wachten über die Harmonie des Dorfes und über die Ehre seiner Bewohner.
    Zwar besaßen sie keine offizielle Befehlsgewalt, aber die Empfehlungen, die sie aussprachen, wurden eingehalten, auch wenn Lemna mit ihrer Bemerkung gedroht hatte, genau das nicht zu tun.
    Sebor räusperte sich. „Dein Sohn darf an der Zeremonie teilnehmen. Danach wirst du die Harmonie in deinem Haus wiederherstellen." Er wartete keine Antwort ab, sondern stand zusammen mit den anderen Mitgliedern auf, öffnete die Tür und verschwand im abendlichen Regen.
    Lemna sah ihnen nach, bis Rufas seine Arme um sie legte. „Herzlichen Glückwunsch", sagte er. „Tieger wird die Ausbildung abschließen."Sie wand sich aus seinem Griff und schloss die offen stehende Tür. „Und was ist mit uns? Du hast Sebor gehört. Ich soll die Harmonie in meinem Haus wiederherstellen..."
    „Dann treffen wir uns eben draußen in den Sümpfen. Das wird schon irgendwie klappen." Lemna nickte, aber glauben konnte sie das nicht.
    Seit zwei Tagen hatte Rufas Lemna nicht mehr getroffen. Gesehen hatten sie sich jedoch, dafür sorgte schon die Enge des Dorfes, der man nur in die Wälder oder in die Sümpfe entkommen konnte. Aber selbst das war unbemerkt kaum möglich, denn die Bäume neigten sich wie riesige Palisaden über die Häuser, schlossen sie ein, und die wenigen Lücken, die man ihnen abgerungen hatte, führten nicht weiter als zu den Holzlagern der Baumfäller. Es war eine klaustrophobische Atmosphäre, die Rufas noch nie zuvor so deutlich bemerkt hatte.
    Er blieb vor dem einfachen Holzhaus stehen, in dem Lemna mit ihrer Familie wohnte, und sah hinauf zum Fenster. Tieger winkte ihm zu, verschwand aus seinem Gesichtsfeld und tauchte nur Sekunden später an der Tür auf. Sein gelbes, reich besticktes Festgewand ließ den slik abperlen. In einer Hand hielt er eine
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