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2132 - Der Saltansprecher

Titel: 2132 - Der Saltansprecher
Autoren: Unbekannt
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gewusst hätte, was dieses Wort bedeutete, dann wäre es ihm vielleicht leichter gefallen, so wie die anderen zu sein. Er hatte seine Mutter gefragt und Rufas, aber beide hatten es ihm nicht richtig erklären können. Mittlerweile lag normal in seiner Schublade. Tieger gähnte und begann ein paar Pilze von einem Baum zu kratzen. Seit dem Morgen stand er bereits hier und wartete auf die Verwandlung des Gagawuz.
    Mittlerweile steckten seine nackten Füße bis zu den Knöcheln im Schlamm. Zirr-Stiche bedeckten seine ungeschützten Arme, und seine Augen brannten von den Sporen der Tazapflanze, die der Regen in sein Gesicht trieb. Der Gagawuz rührte sich jedoch immer noch nicht, ließ es sogar zu, dass Vögel auf ihm landeten, als wolle er beweisen, wie perfekt seine Tarnung war. „Da bist du ja, Tieger", unterbrach eine Stimme seine Gedanken. „Hast du mich nicht rufen hören?"
    Er drehte sich um, erschrocken und erfreut zugleich. „Du muss weggehen. Der Gagawurz kommt nich, wenn andere da sin."
    „Gagawurz?" Rufas trat auf die Lichtung und ergriff seine Hand. „Komm mit! Du wartest auf etwas, das nicht kommen wird." Tieger blieb trotzig stehen. „Er is schon hier, da, der Ast, das is er. Und wenn er sich zeigen tut, kann ich mir was wünschen. Hat Mege gesagt."
    „Mege hat gelogen." Rufas klang auf einmal ungeduldig. Der Druck seiner Hand verstärkte sich. „Es tut mir Leid, aber ich muss dich jetzt wirklich nach Hause bringen. Deine Mutter macht sich große Sorgen, und das willst du doch nicht, oder?"
    „N ein." Tieger ließ sich Non Rufas mitziehen. An den Satz Mege hat gelogen dachte er nicht mehr. Er lag bereits in einer zweiten Schublade, von der niemand außer Tieger wusste. In ihr befanden sich Dinge, die er am liebsten nicht begriffen hätte und die er so ins Vergessen verbannte. Es war eine Schublade, die Tieger stets verschlossen hielt. Er drehte sich ein letztes Mal zu der Lichtung um, aber sie war längst hinter einem Vorhang aus Blättern verschwunden.
     
    *
     
    „Ich halte das für wenig sinnvoll." Sebor, erster Sprecher des Komitees der Neun, sah Lemna aus trüben Augen an. Er war ein alter Mann mit gekrümmtem Rücken und faltigem Gesicht, aber seine Stimme wirkte fest und klar. Die anderen Komiteemitglieder, die rechts und links von Sebor in einer Reihe saßen, waren nicht wesentlich jünger. Sie alle behielten ihre Stellung bis zum Tod, und es kam öfter vor, dass nicht alle Mitglieder, die eine Sitzung lebend begannen, sie auch lebend beendeten.
    Lemna hielt dem Blick stand. „Mein Sohn ist ein Prophet. Er hat die Lehre empfangen, so wie alle anderen Kinder. Wieso wollt ihr ihn jetzt von der Zeremonie ausschließen?"
    „Weil er nichts davon verstanden hat." Nicht Sebor antwortete auf ihre Frage, sondern Rega. Sie unterrichtete Tieger seit einigen Jahren. „Dein Sohn gibt sich große Mühe, allein deshalb habe ich ihn in der Klasse behalten. Ihm die erste Weihe zu geben wäre jedoch ein Hohn. Es ..."
    Sie unterbrach sich, als die Tür geöffnet wurde. Lemna drehte den Kopf und sah, wie Rufas eintrat und sich kurz verneigte. „Entschuldigt die Verspätung", sagte er. Seine Robe war durchnässt, Schlamm bedeckte seine Stiefel. Er zog einen zweiten Stuhl heran und beugte sich zu Lemna hinüber. „Ich habe Tieger gefunden und nach Hause gebracht", flüsterte er. „Es geht ihm gut."
    „Wir diskutierten", sagte Sebor, bevor Lemna antworten konnte, „gerade über die Gründe, die gegen Tiegers Teilnahme an der Zeremonie sprechen. Wir glauben, dass er nicht verstehen wird, was um ihn herum geschieht und was er sieht."
    Rufas neigte den Kopf, eine Geste, die seinen Respekt für das Komitee bekunden sollte. „Ich stimme euch zu. Tieger wird die Zeremonie nicht verstehen."
    Lemna sah ihn überrascht an. Sie hatte Rufas zu der Anhörung gebeten, weil sie seine Hilfe benötigte. Wieso fiel er ihr jetzt in den Rücken? Das Komitee schien seine Zustimmung ebenfalls zu irritieren, denn Sebor warf Rega einen kurzen Blick zu, den sie mit einer ratlosen Geste beantwortete. „Allerdings", fuhr Rufas nach einer Pause fort, „bezweifle ich, dass irgendeines dieser Kinder verstehen wird, was passiert." Er stand auf und begann langsam im Raum auf und ab zu gehen. Lemna beobachtete ihn, hasste und liebte seinen Hang zur theatralischen Darstellung, der fast schon arrogant wirkte. „Gabraunizisz ...", sagte er. „Die Droge, die unser Volk zu Propheten gemacht hat. Bei der Zeremonie nehmen wir sie zum
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