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2132 - Der Saltansprecher

Titel: 2132 - Der Saltansprecher
Autoren: Unbekannt
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ich wünschte, du würdest es anders bezeichnen. Tiegers Geist ist nicht leer, er ist nur sehr, sehr langsam." Zum ersten Mal, seit Rufas den Raum betreten hatte, sah Ters zu seinem Sohn. Tieger versuchte immer noch nach den Regentropfen auf der anderen Seite der Scheibe zu greifen. „Ein normales Kind", fuhr Rufas fort, „würde nach wenigen Minuten bemerken, dass es die Tropfen nicht erreichen kann. Tieger wird das erst in einigen Stunden erkennen, vielleicht sogar erst morgen. Sein Geist bearbeitet eine Aufgabe nach der anderen, wie verschiedene Punkte auf einer Liste. Wenn er den ersten verstanden hat, kann er sich dem zweiten zuwenden und so weiter."
    „Kann er so alles verstehen?" Rufas hörte die Hoffnung in Lemnas Stimme und schämte sich für seine unglückliche Ausdrucksweise. Er hätte den Vortrag an einer anderen Stelle beginnen müssen, um ihr die Grenzen ihres Sohnes deutlicher aufzuzeigen. „Nein", sagte er und senkte den Blick vor den Tränen in ihren Augen. „Eine Regel besagt: Wenn ein Mikhate-Kind etwas nach einem Tag nicht verstanden hat, wird es das auch nach einem Leben nicht verstehen. In eurer Erziehung müsst ihr dafür sorgen, dass Tieger lernt, in einem solchen Fall diesen Punkt zu überspringen und zum nächsten in der Liste auszuweichen. Wenn er das konsequent beherrscht, wird er alles lernen können, was er zum Leben benötigt." Lemna stand auf und ging zum Fenster. Ihr Sohn sah noch nicht einmal auf, als sie ihn hochhob und sanft zu wiegen begann.
    Seine Hand streckte sich weiter nach den unerreichbaren Regentropfen, obwohl sie hinter dem Körper seiner Mutter nur noch zu erahnen waren. Es überraschte Rufas, dass Tieger weder Trotz noch Ungeduld zeigte, denn die Wutausbrüche von Mikhate-Kindern, die man bei ihrer gewünschten Tätigkeit störte, galten als berüchtigt. Er wusste nicht, ob ihr Ausbleiben ein gutes oder schlechtes Zeichen war.
    Als Lemna sich wieder zu ihm umdrehte, waren ihre Wangen feucht, aber in ihren Augen las Rufas eine stumme Entschlossenheit. „Ich danke dir für deine Offenheit", sagte sie. „Wir werden alles tun, um Tieger das Zuhause zu geben, das er benötigt." Ters' Blick wirkte ebenso zweifelnd wie seine zögerliche Zustimmung. Rufas stand auf und verneigte sich. „Eure Hingabe ist beispielhaft. Ich hoffe, ich werde noch oft Gelegenheit bekommen, sie zu erleben." Lemna errötete unter dem Kompliment. Ters erwiderte die Verbeugung. und öffnete die Tür. „Ich begleite dich nach draußen", sagte er. Schweigend folgte Rufas ihm durch den halb dunklen Korridor bis hinaus auf die hölzerne Veranda, von der aus fünf Stufen zum Boden führten. Erst hier, wo zwei Türen zwischen ihm und Lemna lagen und der Regen seine Worte übertönte, fragte Ters: „Gibt es noch eine andere Möglichkeit?" Es waren immer die Väter, die diese Frage stellten, nie die Mütter. Rufas lehnte sich gegen einen Balken und verschränkte die Arme vor der Brust. Tief atmete er die schwere, süßliche Luft ein, ließ seinen Blick über das Dorf mit seinen auf Stelzen gebauten Holzhäusern gleiten. „Ich bin vor zwölf Jahren nach Loan gekommen", sagte er dann, „und ich erinnere mich noch gut an den ersten Blick, den ich nach der Landung auf diesen Planeten warf. Noch nie hatte ich so viel Grün gesehen. Alles wirkte schwer und nass und grün. Sogar in den Augen der Pfauchonen spiegelte sich dieses Grün wider. Und der Regen ... auf welcher Welt gibt es schon zweiundzwanzig verschiedene Worte für den Begriff Regen?"
    Er sah Ters kurz an und fuhr fort, ohne sich um dessen offensichtliche Verwunderung zu scheren: „Von slik, dem sanften, warmen Regen, der wie Sirup über die Haut läuft, über ge, dessen Tropfen fein wie Nebel sind, bis hin zu tokh, der donnernden Flut, die Dächer zerschlägt und Knochen brechen kann. Ich brauchte lange, um sie unterscheiden zu lernen so wie du lange brauchen wirst, um Ehre von Schmach zu unterscheiden."
    „Es gibt nichts Ehrenvolles an diesem Kind", sagte Ters. „Sein Leben liegt wie ein Schatten über meiner Familie, und wenn du uns wirklich helfen wolltest, dann ..." Er brach ab, als Rufas nach seinem Arm griff. „Sprich nicht aus, was nicht ausgesprochen werden darf, Ters. Tieger ist keine Schande, er ist deine Herausforderung, Ehre nicht in der Vollkommenheit, sondern in der Unvollkommenheit zu suchen und zu finden. Du kannst zweiundzwanzig Arten von Regen erkennen, also sollte es dir leicht fallen, mehr als eine Art von Ehre zu
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