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2084 - Noras Welt (German Edition)

2084 - Noras Welt (German Edition)

Titel: 2084 - Noras Welt (German Edition)
Autoren: Jostein Gaarder
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Stangen zeigen Schilder an, wo genau man sich im Meer befindet. Malediven, Kiribati, Tuvalu steht darauf geschrieben. Hier und da stehen elfenbeinfarbene Gebäude ein, zwei Meter tief im kristallklaren Wasser – alte Tempel, Moscheen oder Missionskirchen. Versunkene Zivilisationen, exotische Paradiese von gestern.
    Und die sibirische Tundra? Dort brodelt es und kocht. Sie schaltet zu Orten, die sie schon häufiger besucht hat, starrt hinauf zu dem hauchdünnen Bildschirm unter der Decke und glaubt fast zu sehen, wie aus dem Morast und den Sümpfen Sibiriens Methangas aufsteigt. Und es soll immer noch wärmer werden …
    Sie berührt den Bildschirm des kleinen Terminals und erhält den aus tagesaktuellen Satellitenaufnahmen zusammengesetzten, sich langsam drehenden Globus. Sind die Kontinente nicht ein winziges bisschen kleiner als noch vor wenigen Jahren? Hat das Meer noch mehr Küstenstädte überflutet? Die Eisdecken über Grönland und der Antarktis sind jedenfalls kleiner als im vergangenen Jahr.
    Und wie sieht es bei ihr zu Hause, in ihren eigenen heimatlichen Gefilden aus? Sie schaltet zu einer Kamera, die mitten auf der Hardangervidda steht. Obwohl es schon so spät im Jahr ist, haben die Birken noch ihre Blätter. Über den Baumwipfeln fliegen Möwen und Krähen. Das Heidekraut und den Waldboden lässt sie sich in Großaufnahme zeigen. Zwischen zwei weißen Birkenstämmen taucht eine Waldmaus auf; schon kommt ein Rotfuchs und schnappt sie sich.
    Ein wenig Natur ist noch erhalten, aber es sind nur Reste der einstigen Vielfalt, Brotkrümel vom Tisch der Reichen. Was noch da ist, ist schön, aber sie will sich damit nicht abspeisen lassen. Sie findet, dass sie verlangen kann, in einer intakten Natur zu leben. Nicht in einer, die löchrig ist wie ein Schweizer Käse.
     
    Nova beschließt, sich für den Rest des Tages nur noch Bilder vom Anfang des Jahrhunderts anzuschauen. Es dauert nur Sekunden, einen entsprechenden Filter zu aktivieren. Sie setzt den 12. 12. 2012 als Grenze. Das heißt, von nun an kann sie nur Websites herunterladen, die vor diesem Datum ins Netz gestellt wurden. Für den Rest des Tages wird sie also nur noch Bilder und Filmaufnahmen sehen, die vor dem 12. 12. 2012 in den Wildnissen der Erde aufgenommen wurden. Wie schön manche Teile der Welt damals noch waren, und wie schön darum der heutige Tag werden wird! Sie beschließt, auch die App der Weltnaturschutzunion wegzuschalten. Die kann sie morgen früh wieder aktivieren. Dass es dann ein paarmal mehr »pling« machen wird, nimmt sie in Kauf. Die Vorstellung, dass auch nur ein einziges Weichtier oder Veilchen für ausgestorben erklärt wird, ohne dass sie davon erfährt, könnte sie nicht ertragen. Dass sie den 12. 12. 12 als Grenze setzt, ist kein Zufall. Sie weiß, dass ungefähr um diese Zeit der endgültige Zusammenbruch der Ökosysteme begann. Außerdem war es der sechzehnte Geburtstag ihrer Urgroßmutter.
    Sie beginnt, auf ARKIVE zu surfen, und nimmt sich als Erstes die Menschenaffen vor. Sie spürt ein Kribbeln im Bauch, als sie die ersten Bilder von Zwergschimpansen sieht. Die Tiere sind so witzig, dass sie einfach lachen muss. Sie waren zwar Tiere, aber den Menschen so unglaublich ähnlich. Sie waren individuelle Persönlichkeiten, die sich genauso voneinander unterschieden wie die Menschen. Sie sieht einige Junge im Gebüsch, die miteinander spielen wie Menschenkinder. Was für eine Vorstellung, dass noch vor wenigen Jahren so witzige Geschöpfe auf der Erde lebten! Sie sieht auch Filme, die Gorillas zeigen, die Tiere, die das Bindeglied zwischen den Menschen und der übrigen Natur darstellten. Ein paar von ihnen sehen traurig aus – als wüssten sie insgeheim, dass sie kurz vor dem Ende stehen. Inzwischen sind sie jedenfalls verschwunden und werden nie mehr zurückkehren. Auch einen Film über die rothaarigen Orang-Utans auf Borneo und Sumatra sieht sie. Huch! Gerade wird sie Zeugin, wie eine Orang-Utan-Mama ein Kind gebiert. Es scheint ein gesundes, lebensfähiges Junges zu sein – vielleicht ist es einer der letzten Orang-Utans, die in freier Natur zur Welt gekommen sind …
    Es gab alle diese Filme schon, als die Urgroßmutter noch jung war. Sie wurden ja damals gemacht, und sie waren in all den Jahren, die inzwischen vergangen sind, im Netz abrufbar. Doch Uma, wie Nova sie nennt, hat auch noch mit Leuten gesprochen, die in Afrika auf Safari waren und Menschenaffen mit eigenen Augen gesehen haben. Draußen. In der freien
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