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2084 - Noras Welt (German Edition)

2084 - Noras Welt (German Edition)

Titel: 2084 - Noras Welt (German Edition)
Autoren: Jostein Gaarder
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bekommen, um das die halbe Schule sie beneiden würde. Sie war fleißig gewesen und hatte alle Artikel über Klima- und Umweltfragen ausgeschnitten, die sie hatte finden können. – Und übermorgen wurde sie sechzehn!
     
    Nora war gespannt, was sie träumen würde. Sie wusste, sobald sie eingeschlafen war, konnte ihre Seele sich fast wie auf Knopfdruck in einer anderen Wirklichkeit wiederfinden.

DAS TERMINAL
     
    Sie schlägt die Augen auf und heißt Nova. Alles kommt ihr neu und anders vor.
    Als sie sich im Bett aufsetzt, strömt von einem kleinen flachen Terminal auf dem Nachttisch gedämpftes Licht ins Zimmer. Als sie danach greift, wird das Licht stärker. Während sie sich in die Kissen zurücklegt, schaltet sie auf den Benutzermodus. Auf dem Bildschirm des Terminals steht: Samstag, 12. Dezember 2084.
    Sie sieht vage das Zimmer, in dem sie geschlafen hat. Die Wände sind blutrot. Sie sieht Regen gegen das schmale Fenster prasseln, das sich vom Holzfußboden bis zu einer grauen Leiste unter dem Mansardendach hinaufzieht.
    Das Gerät macht »pling«, und das Bild eines kleinen Affen mit kugelrunden Augen taucht auf dem Bildschirm auf. Eine weitere Primatenart ist damit offiziell ausgestorben. In der freien Natur waren sie längst verschwunden, denn der Lebensraum des südamerikanischen Seidenäffchens ist längst abgefackelt und verdorrt. Jetzt ist auch das letzte in Gefangenschaft lebende Exemplar gestorben. Das ist traurig. Das ist schrecklich.
    Wieder macht es »pling« – ein Leguan. Auch er war früher in Südamerika heimisch, auch er wird hiermit für ausgestorben erklärt.
    Sie spürt, wie ihre Wangen glühen. Aber sie ist machtlos, und abermals erwacht das kleine Terminal in ihren Händen zum Leben. Es zeigt Bilder einer afrikanischen Antilope. Sie hat ebenfalls in Gefangenschaft gelebt und wird von diesem Augenblick an von der Weltnaturschutzunion für ausgestorben erklärt. Schon seit einem Menschenalter sind die großen Antilopen-, Gnu- und Giraffenherden aus der Landschaft verschwunden, die man früher die »afrikanische Savanne« nannte. Und mit den Pflanzenfressern verschwanden natürlich auch die großen Raubtiere. Nur wenige Raubtier- und Pflanzenfresserarten haben in zoologischen Gärten überlebt, doch nun sterben auch sie endgültig aus.
     
    Sie hat schon vor langer Zeit die App LOST SPECIES installiert, die einen stündlich über den Verlust von Tier- und Pflanzenarten informiert. Sie könnte sie natürlich deinstallieren und alles ausblenden, was auf der Welt vor sich geht, aber sie hält es für ihre Menschenpflicht, sich über den fortschreitenden Zusammenbruch der Ökosysteme auf der Welt zu informieren. Sie ist wütend. Sie ist stocksauer. Nur hilft das nichts, denn sie kann nichts gegen das Unheil tun …
    Die wichtigste Ursache für das Aussterben so vieler Pflanzen und Tiere ist die globale Erwärmung, die seit einigen Jahren aus dem Ruder läuft. Vor nur hundert Jahren war der Erdball noch wunderschön, aber im Laufe ihres eigenen Jahrhunderts hat er viel von seinem Zauber eingebüßt. Die Welt wird nie mehr so sein, wie sie war. Die Menschheit bläst schon seit vielen Jahren kein CO 2 mehr in die Atmosphäre – was war das auch für eine Idiotie! –, aber die Klimagase lassen sich leider nicht wieder zurückholen. Nun sind es nicht mehr die Menschen, deren Tun die globale Erwärmung vorantreibt. Die Prozesse haben sich verselbstständigt.
     
    Mit einer Berührung des Bildschirms aktiviert sie EarthCam. Dazu schaltet sie den großen Bildschirm an der abgeschrägten Decke über dem Bett ein. Das Terminal dient dabei auch als Fernbedienung. Sie setzt sich ein wenig auf und wirft einen zerstreuten Blick auf den Planeten.
    Wie ist eigentlich das Wetter am Nordpol? Sie sieht das Bild des arktischen Ozeans, dessen blitzblaues Licht das ganze Zimmer erfüllt. Der Pol ist gänzlich eisfrei, und es ist fast windstill. Nur ein leichtes Kräuseln der Wasseroberfläche zeigt, dass es sich um eine Filmaufnahme und nicht um ein Standbild handelt. Dann sieht sie auch ein Stück vom Bügel der Kamera. Es ist Jahrzehnte her, dass ein Eisbär in seinem natürlichen Lebensraum beobachtet wurde, aber noch leben einzelne Exemplare in Gefangenschaft.
    Und wie sieht es wohl im Stillen oder im Indischen Ozean aus? Viele der alten Koralleninseln liegen schon unter Wasser, ganze Staaten wurden einfach weggespült. Nur aus dem Wasser ragende Stangen zeigen an, wo einst Land war. An einigen dieser
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