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2084 - Noras Welt (German Edition)

2084 - Noras Welt (German Edition)

Titel: 2084 - Noras Welt (German Edition)
Autoren: Jostein Gaarder
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langer Zeit gab es dort auch eine Tankstelle. Noch immer stehen die Ruine aus Beton und ein paar verrostete Eisengebilde. So gut wie nie fährt ein Auto durchs Tal, aber immer wieder ziehen Karawanen von Kamelen und Dromedaren vorüber. Nordafrika und der Mittlere Osten sind nicht mehr bewohnbar, und Abertausende von Klimaflüchtlingen wandern aus diesem Teil der Welt nordwärts und lassen sich in Nordwestnorwegen nieder.
    Nova geht in die Hocke und presst das Gesicht gegen die Fensterscheibe. Dort unten im strömenden Regen steht eine kleine Menschengruppe mit drei schwer bepackten Dromedaren. Von einem Feuer steigt Rauch auf …

BLAULICHT
     
    Nora wurde von der Sirene eines Einsatzfahrzeugs geweckt. Sie öffnete die Augen und sah das Blaulicht von der Straße durchs Zimmer flackern. Aber sie wollte jetzt nicht geweckt werden. Sie durfte jetzt nicht geweckt werden. Was sie träumte, war wichtig.
    Sie musste in ihren Traum zurückkehren und dort etwas in Ordnung bringen …
    Es war nicht das erste Mal, dass sie von Sirenenlärm geweckt wurde. Erst vor ein paar Wochen hatte Jonas in der sogenannten Kissenkammer übernachtet. Die Kissenkammer hieß so, weil das Sofa darin von einem Berg von Kissen bedeckt war, die alle die alte Tante Sunniva bestickt hatte. Die Stickereien zeigten Szenen aus bekannten und beliebten Märchen. Als Nora noch klein war, hatte sie sich immer wieder in die Kissen hineinversetzt, besser gesagt, in jede noch so kleine Gestalt darauf. Ihre Eltern hatten ihr die »Kissenmärchen« erzählt. Fast jeden Abend hatte es eins davon gegeben, und Nora hatte Jahre gebraucht, um den Unterschied zwischen den Wörtern »Kissen« und »Märchen« zu begreifen, wo eins mit dem anderen doch so eng zusammenhing.
    Als Jonas also in der Kissenkammer übernachtet hatte, waren sie mitten in der Nacht von den heulenden Sirenen gleich mehrerer Einsatzfahrzeuge geweckt worden, die aber nicht vorbeigefahren waren, sondern unten auf der Straße angehalten hatten. Nora und Jonas hatten sich gar nicht gegenseitig zu wecken brauchen – sie waren auf dem Flur fast zusammengestoßen und dann die Treppe hinunter- und in die Nacht hinausgestürzt. Sekunden später waren Noras Eltern hinterhergekommen.
    Immer mehr Einsatzfahrzeuge waren von beiden Seiten des Tales eingetroffen: Streifenwagen, Krankenwagen und Feuerwehrautos. Im scharfen Blaulicht erkannten Nora und Jonas die Umrisse eines Tanklasters, der auf der glatten Straße umgekippt war, und als sie die Straße erreichten, wurden sie von Polizisten aufgehalten, die das Gelände weiträumig absperrten. Später erfuhren sie, dass die Gefahr einer Explosion und eines Brandes sehr groß gewesen war, denn der umgekippte Tanklaster hatte etliche tausend Liter Benzin geladen. Die Feuerwehrleute bedeckten ihn mit Schaum, und ein Polizist schrie fast schon wütend:
    »Jetzt gehen Sie doch zurück! Verschwinden Sie endlich, verdammt noch mal!«
    Also hatten sie kehrtgemacht und waren nach Hause getrottet. Erst waren sie alle noch eine Weile im Garten stehen geblieben und hatten den Feuerwehrleuten zugesehen, später dann hatten Nora und Jonas in der Küche gesessen und sich die Nachrichten im Radio angehört, während Noras Mutter Kakao kochte und ihr Vater vor dem Kamin saß und Pfeife rauchte …
    Heute Nacht ließ Nora sich von dem Sirenengeräusch nicht stören, schon gar nicht von dem eines einzigen Fahrzeugs. Sie war in einer anderen Welt im Einsatz. Längst war sie wieder eingeschlafen und auf dem Weg zurück in ihren Traum.

DIE URGROSSMUTTER
     
    Erst klopft es an der Tür, dann scheint etwas ins Zimmer zu schweben. Nova fährt auf, und es ist Uma. Sie trägt ihr Morgengewand, einen blauen Kimono.
    Nova setzt sich auf die Bettkante und schaut zu der alten Frau hin. Nicht dass sie ganz anders aussehen würde als sonst, aber Nova ist, als wäre da auch etwas Rätselhaftes, Fremdes an ihr. Umas Gesicht ist klein und runzlig. Heute ist ihr Geburtstag, sie wird 88!
    Doch etwas an ihr ist anders als sonst, wie verzerrt. Nova läuft ein kalter Schauer über den Rücken. Ist um die alte Frau nicht plötzlich eine Aura von Aufbruch und Veränderung? Am Ringfinger trägt sie den alten Ring mit dem roten Rubin, und irgendwie hat die seltsame Aura etwas mit dem Ring zu tun, das spürt Nova. Uma Nora steht vor ihr wie eine Gesandte aus einer anderen Zeit. Sie nimmt den roten Edelstein zwischen ihre runzligen Finger, als wollte sie damit spielen, dann sagt sie: »Du denkst an den
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