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2084 - Noras Welt (German Edition)

2084 - Noras Welt (German Edition)

Titel: 2084 - Noras Welt (German Edition)
Autoren: Jostein Gaarder
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Natur. Nie wieder wird ein Mensch in der freien Natur einen Schimpansen oder einen Gorilla sehen.
     
    Als Nächstes will sie sich einen alten Naturfilm ansehen. Sie macht es sich gemütlich und weiß, dass sie zwischen Tausenden solcher Filme wählen kann. Sie entscheidet sich für einen, den David Attenborough für die BBC gedreht hat. Staunend sieht sie die prachtvollen Bilder aus der Welt von gestern.
    Sie sieht unbeschreiblich schöne Aufnahmen des wimmelnden Lebens um die großen Korallenriffs. Sie sieht Korallen, Weichtiere, Krebse, Seegras, Schildkröten und Fische in allen Farben des Regenbogens. Es ist, als hätte ein Gott jeden der knallbunten Fische eigenhändig angemalt. Sie sieht all das, und zugleich ist ihr schmerzlich bewusst, dass es für immer vergangen ist. Es gibt keine Korallenriffs mehr – natürlich nicht, hör schon auf! – und kein Gewimmel knallbunter Korallenfische. Das Meer ist dafür zu sauer, denn es wurde über hundert Jahre lang gezwungen, Millionen und Abermillionen Tonnen CO 2 zu schlucken. Ha! Es war, als hätte ein kleiner Teufel in der Ecke gesessen und sich geschworen: Jetzt reicht’s! Sollen Milliarden Feuer aus Öl und Kohle diesen schwindelerregenden Reichtum an Arten endlich ersticken!
    Sie schaut wieder zu dem Bildschirm hoch und befindet sich im großen Regenwald des Amazonas. Inzwischen, das weiß sie, ist daraus die größte Savanne der Welt geworden. Dann schaut sie sich einen alten Kultfilm über Schmetterlinge an. Einige Arten mit ihrer filigranen Zeichnung der Flügel sind so wunderschön, dass Nova Gänsehaut bekommt – dabei weiß sie nur zu gut, dass die meisten dieser Arten nur noch in Form von Myriaden Megabytes in Datenbanken existieren.
    Nie gab es auf Bildschirmen und Displays mehr und prachtvollere Naturbilder zu sehen als heute. Aber noch nie war die lebendige Natur selbst so arm an Vielfalt.
     
    Auf dem großen Bildschirm unter der schrägen Decke kann sie auch lesen, was Menschen zu Beginn des Jahrhunderts in Zeitungen und auf Websites geschrieben haben. Alles, was damals ins Netz gestellt wurde, ist noch immer da, Texte, Bilder, Musik – alles schwebt weiter in der Elektrosphäre. In einem Zeitungsartikel heißt es: »… Darum dürfen wir keinen Erdball hinterlassen, der weniger wert ist als der, auf dem wir selbst leben durften …« Pah! In einem anderen Artikel liest sie: »… Ich sehe unsere verzweifelten Enkel und Urenkel schon vor mir – sie trauern nicht nur über den Verlust von Rohstoffen wie Gas und Öl, sondern auch über den Verlust der biologischen Vielfalt …«
    Sie schüttelt den Kopf. An Warnungen hat es damals wahrlich nicht gefehlt.
    Ob Uma, als sie noch jung war, auch über diese Dinge geschrieben hat? Wenn Nova etwas finden will, solange der Filter noch aktiviert ist, muss Uma es geschrieben haben, als sie noch keine sechzehn war. Sie sucht unter »Nora Nyrud«. Sie versucht es mit mehreren Suchmaschinen, und endlich taucht etwas auf dem Bildschirm auf. Es ist ein Brief – an sie, an Nova!
    Liebe Nova, steht da. Nach einem kurzen Schreck liest sie weiter: … ich weiß nicht, wie es auf der Welt aussieht, wenn du das hier liest. Aber du weißt es …
    Wie ist das möglich? Der Brief auf dem Bildschirm ist auf den 11. 12. 2012 datiert, also einen Tag vor Umas sechzehntem Geburtstag, nur einen Tag vor dem Limit. Aber wie konnte Uma mehr als ein halbes Jahrhundert vor Novas Geburt einen Brief an sie schreiben?
    Sie überprüft zuerst den Filter. Der ist intakt. Das Terminal empfängt keine Signale aus der Zeit nach dem 12. 12. 12.
    Wie aber konnte Uma wissen, dass sie mehr als ein halbes Jahrhundert später eine Urenkelin namens Nova haben würde? War sie Hellseherin?
    Und ist sie das vielleicht noch immer?
     
    Nova steht auf. Den großen Bildschirm unter der Decke schaltet sie aus, aber das kleine Terminal behält sie in der Hand. Sie lässt eine Tonspur laufen; auch die stammt vom Anfang des Jahrhunderts.
    Eine Männerstimme sagt: »Seit dem Ende des 18. Jahrhunderts aber haben uns die Vorräte an fossilen Brennstoffen in Versuchung geführt wie der Geist in Aladins Lampe. ›Lass uns raus!‹, hat der Kohlenstoff geflüstert, und wir sind der Versuchung erlegen. Jetzt versuchen wir, den Geist in die Lampe zurückzuzwingen …«
    Der Regen peitscht gegen das Fenster. Nova setzt sich unter das schräge Dach und versucht hinauszublicken. Durch den strömenden Regen hindurch kann sie die Hauptstraße nur erahnen. Vor
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