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20 - Im Reiche des silbernen Löwen I

20 - Im Reiche des silbernen Löwen I

Titel: 20 - Im Reiche des silbernen Löwen I
Autoren: Karl May
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Ich sehe den Dolch des Mörders an einem Haar über mir hängen und zucke bei jedem ungewöhnlichen Geräusch zusammen, als ob ich hörte, daß er die für mich bestimmte Kugel in den Lauf seines Gewehres stößt. Ich esse nichts aus fremder Hand, denn es könnte für mich vergiftet sein; ich genieße nur die Reste des Mahles, von welchem der Onbaschi vorher gegessen hat. Ich möchte sterben, nur um dieses von Furcht und Angst erfüllte Leben loszuwerden; ich möchte tot sein, tot, und doch fürchte ich den Tod, denn es gibt eine Stimme in meinem Innern, welche mir fort und fort zuruft, daß ich noch nicht sterben dürfe, weil es noch einen mir unbekannten Zweck meines Lebensrestes, meiner letzten Lebenstage gebe. Ich bin unglücklich, unbeschreiblich unglücklich; das kannst du mir glauben, Effendi!“
    Wie dauerte mich der alte Mann! Jetzt kam er mir gar nicht mehr so wunderlich vor wie vorher. Die Angst hatte seinen Charakter zerfressen, seine Tatkraft gelähmt und ihn zum Schmetterling gemacht, der vor jedem auf ihn fallenden Schatten wie vor einem Todfeind flieht. Wie herzlich gönnte ich ihm die Erlösung von diesem Leiden. Wären seine Feinde, der Säfir und die andern, zu fassen gewesen, ich hätte gern mein Leben eingesetzt, um gegen sie für diesen schwergeprüften Mann zu kämpfen. Aber er hatte außerdem noch Feinde, und diese lebten, nicht am Birs Nimrud, nicht in der Wüste, nicht in dem Grenzgebiet zwischen Iraq Arabi und Persien, sondern in seinem Innern.
    „Ja, du bist unglücklich, unglücklicher noch als du denkst“, sagte ich. „Du fürchtest den Tod; du fürchtest für dein Leben; aber du bist schon längst tot; du lebst schon seit langer Zeit nicht mehr!“
    „Wie meinst du das?“ fragte er.
    „Deine Seele ist ein Kabr (Grab), in welchem dein Glaube, deine Zuversicht, dein Gottvertrauen begraben liegen. Wer keinen Gott besitzt, hat auch das Leben nicht; wer aber weiß, daß er unter dem Schirm des Allmächtigen steht, den ficht keine Angst und kein Bangen an, der fürchtet keinen Feind und keinen Widersacher, denn alle menschlichen Anschläge müssen zuschanden werden vor dem Willen dessen, ohne den kein Wassertropfen verdunstet und kein Sonnenstäubchen zur Erde fällt.“
    „Du hast gut predigen; dir droht keine Mörderhand!“
    „Meinst du? Wüßtest du, wie oft sich solche Hände gegen mich ausgestreckt haben, von mir gesehen oder oft auch hinterrücks! Es haben Menschen, die ich gar nicht kannte oder noch schlimmer, die ich für Freunde hielt, mir nach dem Leben getrachtet; der Tod hat nahe vor mir, neben oder hinter mir gestanden, ohne daß ich es ahnte. Das ist schlimmer und viel, viel gefährlicher, als wenn man, wie du, die Personen kennt, vor denen man sich zu hüten hat. Du sagst, daß mir kein Mörder drohe, und ich sage dir, daß es hier Leute gibt, welche nach meinem Blut förmlich lechzen. Aber siehst du etwa, daß ich Besorgnis hege? Diese Menschen, welche mich verfolgen, können mir nichts anhaben, weil ich unter einem Schutz stehe, gegen den ihre Kraft der Dabbuhr (Wespe) gleicht, welche sich einbildet, in die Höhe steigen und mit ihrem Stachel den Nisr (Adler) durchbohren zu können.“
    „Das werden gewöhnliche Menschen sein; mein Feind aber ist der Säfir, der mächtige Anführer einer Bande von Verbrechern, gegen deren Anschläge selbst der Pascha von Bagdad nicht aufzukommen vermag.“
    „Du täuschst dich. Der, welcher nur hier in Bagdad nach dem Leben trachtet, ist wahrscheinlich ebenso mächtig oder, wenigstens in dieser Gegend, noch mächtiger als der Säfir. Denn weil Säfir ‚Gesandter‘ heißt, befindet er sich jedenfalls nur zeitweilig und vorübergehend hier. Ich vermute sogar, daß beide einander kennen, daß beide Freunde und ganz gleichwertige Halunken sind.“
    „Was sagst du? Dir und mir trachteten zwei Menschen nach dem Leben, welche Freunde sind?“
    „Ja.“
    „Ist dein Gegner auch Schmuggler?“
    „Vielleicht gar etwas Schlimmeres.“
    „Wer ist er, und wie heißt er?“
    „Hast du einmal den Namen Sill gehört?“
    „Das ist ein persischer Ausdruck, welcher soviel wie ‚Schatten‘ bedeutet.“
    „Ich spreche von diesem Wort als einem Namen, nicht als einem Ausdruck.“
    „Da kenne ich ihn nicht.“
    „So sei froh! Wie der Schatten nie vom Menschen läßt, so läßt auch der Sill den nicht los, hinter dessen Ferse er mit gezücktem Messer schreitet.“
    „Und so einen Sill hast du hinter dir?“
    „Mehrere; ihr Anführer ist,
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