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1WTC

1WTC

Titel: 1WTC
Autoren: Friedrich von Borries
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Geburtsort, deine Eltern, ich weiß sogar, wie dein Kinderzimmer aussah.«
    »Du hast es immer noch nicht verstanden.« Er lächelt mich müde an. »Das Kinderzimmer, das Geburtsdatum, das hat nichts mit mir zu tun. Jedenfalls nichts mit dem, der ich jetzt bin, sondern nur mit dem, der ich mal war. Wer ist schon Mikael Mikael?« Er wartet wieder ein paar Sekunden. »Ich habe dir doch erzählt, dass ich einen neuen Pass hab. Aber der ist nicht auf Mikael Mikael ausgestellt.«
    »Sondern?«
    »Das ist jetzt egal. Für dich jedenfalls. Du sollst es auch gar nicht wissen, es würde dich nur belasten. Nein, wenn ich dir in Zukunft auf der Straße begegne, wirst du mich gar nicht erst erkennen. Das Bild von deinem alten Freund, der verschwunden ist oder vielleicht noch in New York lebt, das Bild von diesem Menschen, den du seit langem kennst, ist jetzt mit Mikael Mikael verbunden. Syana war eine Meisterin der Tarnung. Von ihr hab ich viel gelernt. Noch ist die Verbindung zwischen Mikael und meiner früheren Identität dein Geheimnis. Aber irgendwann werden andere das Gerücht hören, dass hinter diesem Mikael ein alter Freund von dir steckt. Meine Eltern werden Hoffnung schöpfen, dass ihr Sohn noch lebt, aber Beweise wirst du keine haben. Niemand wird irgendetwas beweisen können.«
    Es ärgert mich, dass er so oberlehrerhaft doziert. Und mir gleichzeitig unverblümt mitteilt, dass ich für ihn nur ein Instrument bin.
    »Es gibt auch noch eine kürzere Erklärung«, sagt Mikael. »Ich ist eben immer ein anderer. Und Fiktion ist die beste Tarnung der Realität.«
    Er braucht mich nicht nur, um seine Geschichte aufzuschreiben, sondern als Legitimation für die Kunstfigur, die seine neue Identität schützen soll. Verschleierung. Meine Rolle in seinem Plan steht fest. Er hat mich ausgewählt, gerade weil ich ihn von früher kenne. Nicht, weil er mir deshalb mehr vertraut, sondern weil es Teil seiner Strategie ist.
    Viele Fragen sind noch offen geblieben. Aber ich fürchte, dass er sie mir ohnehin nicht beantworten wird.
    »Und, wie soll es weitergehen?«, sage ich mehr zu mir selbst als zu ihm.
    »Die ganze Welt muss die Geschichte erfahren. Ich hoffe, du machst das. Schreibst einen Bericht. Oder vielleicht ein Drehbuch.«
    Ich weiß nicht, was ich antworten soll. Brauche Zeit, mir das Ganze durch den Kopf gehen zu lassen.
    »Und du?«
    Mikael zuckt mit den Schultern. »Ich werde auch in Zukunft als Künstler arbeiten. Vielleicht kannst du mir ja gelegentlich mal bei einer Ausstellung helfen.«
    Er gibt mir eine Visitenkarte. »Andri Jürgensen Rechtsanwälte. Kanzlei für Kunst, Kultur und Medien.«
    »Ich hab einen Anwalt, der sich auf Künstler spezialisiert hat. Er erledigt alle rechtlichen Sachen für mich. Er wird sich bei dir melden.« Mikael macht noch mal eine Pause. Ich nicke.
    »Du kannst hier gerne noch ein paar Tage bleiben, aber ich muss weiter.«
    Ohne Eile verlässt Mikael den Bauwagen, ich schaue ihm nach.
    Kurz vor dem kleinen Wäldchen dreht er sich noch mal um und ruft mir etwas zu, das aus der Ferne wie »Danke« klingt.
    Ich sammle die Unterlagen ein, die Mikael zurückgelassen hat, und hole meinen Rechner aus der Tasche. Dann beginne ich mit der letzten Szene.
    Halbtotale. Sunner, Connelly, Laporta sitzen an ihrem Tisch in dem leeren Hinterzimmer der Bar.
    Die folgende Szene in Schuss-Gegenschuss.
    Connelly: »Meine Herren, es gab einen Unfall. Wir haben zwei Tote.«
    Laporta: »Was genau ist passiert?«
    Sunner: »Ein Kühl- und Löschmittel ist ausgetreten. Leider haben sich Unbefugte in dem Raum aufgehalten. Und die sind dann … erstickt.«
    Connelly: »Und die Leichen?«
    Sunner: »Wir haben sie verschwinden lassen. Ihr Tod sieht jetzt nach einem normalen Raubmord aus, irgendwo in Brooklyn. So weit ist alles geklärt.«
    Connelly: »Und Sie wissen, wie es jetzt weitergeht?«
    Laporta und Sunner: »Ja, Sir.«
    Connelly: »Dann veranlassen Sie die dafür nötigen Maßnahmen.«
    Connelly erhebt sich und geht aus dem Bild. Laporta und Sunner folgen.
    Die Kamera bleibt auf den leeren Tisch gerichtet.
    Blende.
    Luftaufnahme aus einem Hubschrauber. Ground Zero. Rotorengeräusch. Der Hubschrauber dreht ab Richtung Brooklyn Bridge, fliegt nach Süden, vorbei an der Südspitze von Manhattan, weiter Richtung Freiheitsstatue.
    Zoom auf die Freiheitsstatue. Das Rotorengeräusch wird leiser. Das Bild löst sich in Weiß auf.
    Blende.
    Schriftzug: schwarz auf weißem Grund, 1 WTC.
    Blende.
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