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1974

1974

Titel: 1974
Autoren: David Peace
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schrie zugleich, zitterte am ganzen Körper, mit einer Hand wühlte sie durch die Plastiksäcke auf dem Boden, mit der anderen schob sie sich den Rock in ihren Schlitz.
    Ich packte eine Art Meißel oder Tapetenabschaber.
    »Wo ist er?«
    »Mh, ha-ha-ha. Mh, ha-ha-ha.«
    Die Schreie wurden zu einem Summen, das Kichern nahm ab.
    »Wo ist er?« Ich hielt ihr den Meißel an die fette Kehle.
    »Ah, ha-ha-ha. Ah, ha-ha-ha.«
    Wieder trat sie um sich und wühlte mit Knien und Füßen durch die Plastiksäcke.
    Ich sah zu Boden und entdeckte inmitten der Säcke und Tüten ein dickes, schlammverkrustetes Seil.
    Ich ließ ihr Gesicht los und schubste sie fort.
    Ich schob die Säcke mit dem Fuß beiseite und entdeckte einen Kanaldeckel, durch den das dreckige schwarze Seil gefädelt war, als wäre er ein riesiger Metallknopf.
    Ich wickelte mir das Seil um die gesunde Hand, zog den Deckel hoch und schwang ihn zur Seite.
    Mrs. Marsh hockte kichernd unter der Werkbank und trommelte hysterisch mit den Fersen auf den Boden.
    Ich schaute durch das Loch in einen schmalen steinernenSchacht mit einer Metalleiter, die bis zu einem schwachen Lichtschein etwa fünfzehn Meter in die Tiefe reichte.
    Es handelte sich um den Luftschacht einer Mine.
    »Ist er da unten?«
    Sie trommelte immer schneller mit den Füßen, das Blut floß ihr immer noch aus der Nase in den Mund, und plötzlich spreizte sie die Beine und rieb sich das Geschirrtuch über ihre braune Strumpfhose und den blutroten Schlüpfer.
    Ich griff unter die Werkbank und zog sie an den Knöcheln hervor. Dann rollte ich sie auf den Bauch und setzte mich auf ihren Hintern.
    »Ah, ha-ha-ha. Ah, ha-ha-ha.«
    Ich streckte die Hand aus und zog ein Stück Seil von der Bank. Ich legte es um ihren Hals, führte es zu den Handgelenken, und anschließend knotete ich es am Bein der Werkbank fest.
    Mrs. Marsh hatte sich vollgepißt.
    Ich sah in den Schacht hinunter, drehte mich um und steckte einen Fuß in die Dunkelheit.
    Ich ließ mich an der kalten, feuchten Metalleiter in den glitschigen Schacht hinunter.
    Ich stieg abwärts, drei Meter tief.
    Neben dem Kreischen und Schreien von Mrs. Marsh konnte ich leise das Plätschern von Wasser hören.
    Immer tiefer ging es, sieben Meter.
    Ein Kreis aus grauem Licht und Wahnsinn über mir.
    Immer tiefer ging es, das Gelächter und die Schreie erstarben, je weiter ich nach unten kam.
    Ich konnte unter mir Wasser spüren, stellte mir vollgesoffene Schächte mit schwarzem Wasser und ertrunkenen Leichen vor.
    Immer tiefer ging es auf das Licht zu, ich sah nicht hinauf, wollte nur sicher sein, daß ich weiter hinabstieg.
    Plötzlich war eine der Seiten des Schachts verschwunden, und ich stand im Licht.
    Ich drehte mich um und sah in den gelben Schlund eines horizontalen Schachts, der rechts von mir verschwand.
    Ich stieg noch ein Stück weiter nach unten, drehte mich dann um und stützte mich mit den Ellbogen auf den Rand des Schlunds.
    Ich drückte mich hoch ins Licht und kroch auf den Fels. Das Licht war hell, der Tunnel eng und endlos.
    Ich konnte nicht stehen, also kroch ich auf Bauch und Ellbogen über die groben Ziegel durch den Schacht auf das Lichtzu.
    Ich schwitzte, war müde und wollte endlich wieder aufstehen.
    Ich kroch weiter, dachte erst in Metern, dann in Kilometern, verlor jedes Gefühl für Entfernungen.
    Plötzlich hob sich die Decke, und ich kniete mich hin, schlurfte weiter, dachte an die Dreckberge über meinem Kopf, bis meine Knie und Schienbeine wundgerieben waren und versagten.
    Ich konnte im Dämmerlicht sehen, wie sich etwas bewegte Mäuse, Ratten oder Kinderfüße.
    Ich streckte die Hand aus in den Schiefer und den Schlamm und zog einen Schuh heraus; eine Kindersandale.
    Ich lag auf den Ziegeln im Staub und Dreck und kämpfte mit den Tränen, klammerte mich an den Schuh, konnte ihn nie wegwerfen, nicht liegenlassen.
    Ich machte einen Buckel und stand auf, ging weiter, schlug mit dem Rücken gegen Träger und Balken, schaffte hier einen Meter dort ein paar Schritte.
    Dann veränderte sich die Luft, das Plätschern des Wassers verklungen, und ich konnte den Tod riechen und die Kinder stöhnen hören.
    Die Decke hob sich erneut, und wieder gab es Holzbalken, denen ich mir den Kopf stieß; dann bog ich um eine Felsnasewar da.
    Ich richtete mich im Schein von zehn Grubenlampen im Schlund eines großen Tunnels auf, keuchte, schwitzte, hatte höllischen Durst, versuchte, alles in mich aufzunehmen.
    Die verdammte Höhle des
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